47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
sehr bald vor die Augen.“
„Wer ist es?“
„Ich traute meinen eigenen Augen nicht, als ich ihn sah; aber er hat in dieser Nacht bereits fünf Hasen in der Schlinge gefangen.“
„In der Schlinge? Fünf Hasen in einer Nacht? Das Wild in dieser jämmerlichen Weise umzubringen. Ich lasse den Kerl mit glühenden Zangen zerreißen, so wahr ich Rodenstein heiße und Oberförster bin.“
„Das hat er gut und ganz verdient, Herr Hauptmann. Er hat bereits seit Jahren für den Frankfurter Händler den Lieferanten gemacht.“
„Schändlich. Und wir haben ihn nicht erwischt? Da sieht man wieder, wie man sich auf seine Leute verlassen kann. Augen haben sie wie die Ofenlöcher und Ohren wie die Borstenwische, aber sehen und hören tun sie nichts. Aber ich werde einmal unter sie fahren, und einen neuen Modus einführen. Wer von jetzt an nicht jede Woche einen Wilddieb arretiert, wird fortgejagt. Auf diese Weise werde ich die Wilderer los und auch euch, ihr Sperrmäuler und Maulaffen. Mein Brot eßt ihr, und mein Wild fressen andere; wovon soll denn ich leben und Seine Durchlaucht, der Großherzog? Etwa von Eichenrinde, Tannenzapfen und gespickten Pelzfäustlingen? Ich werde euch den Brotkorb so hoch hängen, daß ihr, um danach zu schnappen, Hälse bekommt wie die Giraffen und alten Jungfern, die den Hals wie einen Korkenzieher drehen, wenn sie einen Mann wittern. Aber wer war denn dieser Halunke?“
„Unser Viehdoktor.“
„Unser Vieh –“
Das Wort blieb dem Alten im Mund stecken.
„Doktor“, ergänzte Ludewig das Wort.
„Kerl, bist du übergeschnappt?“
„Zu Befehl, nein, Herr Hauptmann!“
„Unser Viehdoktor, unser Tierarzt, ein Schlingensteller? Unmöglich.“
„Es ist wahr, Herr Hauptmann.“
„Du irrst. Ist er es denn wirklich?“
„Freilich. Er steckt ja mit unten im Hundestall.“
„Na, so gnade ihm Gott. Hast du den Bock mit?“
„Ja. Der Doktor hat ihn schleppen müssen.“
„Ihm ist recht geschehen. Ich wollte, der Bock wäre ihm an den Hals gewachsen. Und die Hasen?“
„Alle fünf sind da. Der Wildhändler hat sie im Sack.“
„Gut, gut. Ich werde diese beiden Kerls sofort verhören. Ich werde sie in das Gebet nehmen, daß sie vor Angst Baumöl und Sirup schwitzen. Gehe und hole das ganze Volk zusammen. Sie sollen alle nach meiner Amtsstube kommen. Wenn ich dir dann winke, bringst du die beiden Inkulpaten herauf. Ich werde ihnen zeigen, was ein Bock und fünf Hasen zu bedeuten haben. Ich werde ein Exempel statuieren. Und wenn ich sie auch dem Kriminalrichter übergeben muß, so werde ich sie vorher so turbieren und malträtieren, daß lebenslanges Zuchthaus noch ein Paradies sein soll. Vorwärts also. Ich brenne vor Begierde, und sie sollen mich kennenlernen, aber wie.“
Ludewig entfernte sich. Als er in den Hof kam, hatte einer der Burschen gerade ein gesatteltes Pferd aus dem Stall gezogen, denn der gestrenge Herr Hauptmann hatte einen Ritt machen wollen.
„Laß das jetzt und hilf mir die Leute zusammenzutrommeln“, meinte Ludewig. „Der Herr Hauptmann hält erst das Gericht hier.“
„Mit den Wilddieben?“
„Ja. Die Leute sollen alle dabei sein, in der Amtsstube droben.“
„Gut, gut. Ich laufe schon.“
Der dienstbeflissene Knecht ließ das angebundene Pferd stehen und eilte davon, um zu helfen, die Kameraden zu benachrichtigen. In fünf Minuten waren alle Bewohner von Rheinswalden versammelt. Der Hauptmann ließ sie auf Stühlen einen Halbkreis bilden, in dessen Mitte er in eigener Person Platz nahm, nachdem er zuvor durch das Fenster hinab in den Hof gewinkt hatte. Dort stand Ludewig an der Tür des Hundestalles. Als er den Wink seines Herrn bemerkte, öffnete er den Stall und ließ die beiden Verbrecher heraus.
„Halt, Doktor“, sagte er, „Sie haben den Bock zu tragen.“
„Auch in das Verhör?“
„Das versteht sich. Er ist ja der Korpus Defektus, der Euch ins Zuchthaus bringt, nebst den Hasen, die auch solche Korpusse sind dahier.“
„Aber ich bin ja unschuldig.“
„Sagen Sie das dem Herrn Hauptmann selber. Ich verstehe von der Kriminalität nicht ganz so viel wie er.“
Der Arzt mußte den Bock aufladen, und ‚Geierschnabel‘ trug seinen Sack. Sie waren noch immer an den Händen zusammengebunden. Als sie über den Hof geführt wurden, bemerkte der Amerikaner das Pferd, und ein lustiges Lächeln zuckte eine Sekunde lang um seine Lippen.
Ludewig führte sie eine Treppe empor und öffnete eine Tür. Ein rascher Blick
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