47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
zu ihr heran.
„Setze dich, mein Sohn“, sagte sie. „Du bist sehr lange fern gewesen. Jetzt endlich bringst du mir Nachricht. Ich werde fragen, und du sollst mir antworten. Oder bist du müde? Hast du Hunger oder Durst, mein Sohn?“
Der Zigeuner schüttelte verächtlich den Kopf.
„Müdigkeit? Hunger oder Durst?“ fragte er. „Was ficht das den Gitano an. Frage, Mutter, damit ich dir antworten kann.“
„So sage mir, ob du Deutschland glücklich erreicht hast.“
„Ich war in diesem Land.“
„Auch an dem Ort, nach welchem ich dich sandte?“
„Auf dem Schloß Rheinswalden? Ja, da war ich auch.“
„So ist mein Wunsch erfüllt. Lebt Tombi noch?“
„Er lebt noch, ist gesund und freut sich seines Lebens.“
„Hast du nicht gesehen einen alten Mann, welcher krank in seinem Geiste ist?“
„Ich habe ihn gesehen. Er spricht stets, daß er der gute, treue Alimpo sei. Man sagt, dieser Mann sei der eigentliche Graf de Rodriganda.“
„Was er ist, das geht dich nichts an. Welche Personen hast du noch dort gefunden?“
„Den Herzog von Olsunna.“
„Ich kenne ihn.“
„Die Herzogin, seine Frau.“
„Sie war meine Freundin.“
„Frau Rosa Sternau, die Tochter der Rodriganda.“
„Sie war die Wonne ihres Gatten. Gott hat ihn sterben lassen.“
„Ihr Töchterlein Rosa, genannt Waldröschen.“
„Ich habe sie als Kind gesehen und ihr die Hände auf das Haupt gelegt. Ist sie schön geworden?“
„Schöner als die Röte des Morgens.“
„Und gut?“
„Ihr Herz kennt nichts als Güte allein.“
„Gott wird sie segnen. Wen hast du noch gesehen?“
„Einen Offizier, welcher Kurt genannt wird. Er ist jung, aber er wird schnell ein großer Mann werden.“
„Es ist der Sohn des Steuermannes. Ich habe in den Sternen gelesen, daß ihm keine seiner Leuchten untergehen wird.“
„Sodann habe ich gesehen den alten Rodenstein.“
„Der Rodensteiner ist wie der Stein, der aus dem Feld gerodet wird. Er hat keinen Glanz und keine Politur und verwittert langsam.“
„Seinen Sohn, den Maler, und seines Sohnes Frau, die Herzogstochter.“
„Es sind zwei Herzen, welche fest zusammenwuchsen, sie werden sich niemals fremd werden.“
„Sodann bekam ich von Tombi, deinem Sohne, einen Brief für dich.“
„Einen Brief? Gib ihn her! Der Gitano versteht nicht, einen Brief zu schreiben. Aber was er einmal schreibt, das wird von seinen Brüdern und Schwestern gelesen. Meine Augen sind noch scharf genug, die Worte zu sehen, welche mir mein Sohn sendet, der der Sohn meines größten Feindes ist.“
Der Zigeuner gab ihr ein Blatt Papier, auf welches mehrere Zeilen mit schlechter Feder und noch schlechterer Tinte geschrieben waren. Dieses Blatt war in einen Leinwandlappen gewickelt gewesen. Sie verstand dennoch das undeutlich Geschriebene und las folgende Apostrophen:
„Mutter.
Brief an Frau Sternau. Lebt noch. Auch Steuermann, Graf Ferdinande. Auch alle anderen. Sind in Mexiko. Ferdinande von Cortejo Pablo Gift. Scheintot. Schiff geschafft. Sklave geworden. Landola getan. Die anderen von Landola auf Schiff. Gefangen. Sollte sie töten. Schaffte sie auf eine wüste Insel. Sechzehn Jahre. Gerettet. Kommen bald nach Hause. Große Freude in Rheinswalden und Rodriganda. Rache bald und groß.
Sohn Tombi.“
Man sieht, daß dieser Brief ein früheres Datum hatte. Er war vor ‚Geierschnabels‘ Ankunft geschrieben, also zu einer Zeit, in welcher man noch nicht wußte, daß die Geretteten wieder verschwunden seien.
Zarba saß lange Zeit in tiefe Gedanken versunken. Dann steckte sie den Brief in die Tasche des alten Gewandes und kam aus dem Zelt hervorgekrochen. Sie steckte einen Dolch zu sich und entfernte sich aus dem Lager, ohne den Ihrigen ein Wort der Erklärung zu geben.
Ihre Schritte waren zwar langsam, aber fest und sicher. Sie schien trotzdem es Winter war, nicht im Geringsten zu frieren. War es vielleicht eine seelische Potenz, welche ihr diese Wärme, diese Kraft erteilte?
Sie schritt geraden Weges auf Schloß Rodriganda zu. Als sie das Portal erreichte, stand ein Diener unter demselben.
„Was willst du, Hexe?“ fragte er.
Sie antwortete nicht, sondern schritt an ihm vorüber. Da erfaßte er sie beim Arm und wiederholte:
„Was du willst, Hexe, habe ich gefragt!“
Sie blickte ihn ruhig an und antwortete:
„Weißt du nicht, daß ich hier stets Zutritt habe?“
„Ich weiß es. Aber sage mir, zu wem du willst.“
„Ist Graf Alfonzo da?“
„Nein.“
„Señor
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