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47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

Titel: 47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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herniederflossen.
    „Rosa, meine Rosita!“ rief er schluchzend wie ein Kind. „So hast du vor mir gestanden, tröstend und versöhnend wie ein Seraph, als ich mit Unglauben, Verzweiflung und Wahnsinn ringend, im fernen Weltmeer auf den Knien lag, nahe daran, mit Gott zu hadern und mein Dasein zu verfluchen. So bist du mir Licht und Erlösung geworden in dunkelster Nacht. Dein Bild hat bei mir gestanden im Schlafen und im Wachen. Ohne dich gab's für mich kein Denken und kein Atmen. Du bist mein Himmel, meine Welt, und über dir kann nur Gott allein stehen.“
    Auf das tiefste ergriffen stand Amy weinend hinter ihm. Sie sah seine Tränen; sie hörte sein Schluchzen; sie sah seine mächtige Gestalt unter der Macht der ihn beherrschenden Gefühle beben. Sie wagte nicht, ein Wort zu sagen. Sie sah seine Augen in stiller Anbetung auf den Zügen der Geliebten ruhen, und das war ein Gottesdienst, den sie nicht entheiligen durfte.
    Endlich aber drehte er sich zu ihr herum und gab ihr beide Hände.
    „Ich danke Ihnen, Miß Amy!“ sagte er. „Die Seligkeit dieses Augenblicks würde ich um alle Reichtümer der Welt nicht verkaufen. Es war die allerhöchste Wonne, welche Sie mir bieten konnten.“
    Sie ließ ein schalkhaftes Lächeln über ihr Gesicht gleiten und sagte:
    „O, vielleicht gibt es für Sie eine Wonne, eine zweite Seligkeit, welche ebenso groß ist, als diese erste.“
    „Das ist unmöglich!“
    „Soll ich Sie in Versuchung führen?“
    „Es wird ganz umsonst sein, Fräulein“, lächelte er, unter Tränen.
    „Nun, ich will wenigstens den Versuch machen. Kommen Sie, Herr Doktor.“ Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn vor ein anderes Bild, welches an der gegenüberliegenden Seite der Kajüte hing.
    „Wollen Sie einmal diese junge Dame betrachten!“ sagte sie.
    Er warf den Blick auf diese Fotografie und fühlte es dabei wie einen elektrischen Schlag durch seine Seele gehen. Dieses schöne, liebliche Gesichtchen kannte er; aber wo hatte er es gesehen? Hatte es vielleicht bisher als Ideal, als unbewußtes Eigentum, Sein von seinem Sein, in seiner Seele geruht? Es war ihm, als ob sein Herz, sein Fühlen und Denken menschliche Gestalt angenommen und sich in diesem Körper, in diesen engelsreinen Zügen den schönsten, den erhabensten Ausdruck gesucht habe. Seine tiefsten Empfindungen, seine erhabensten Gedanken waren in diesem Köpfchen verkörpert. Er hätte dieses Bild von der Wand reißen mögen, um es tausendmal heiß und innig zu küssen und doch auch wieder ihm eine Verehrung zu zollen, wie der Parse vor der Sonne kniet, wenn sie des Morgens sich mit den herrlichsten und jungfräulichsten ihrer Strahlen bekleidet.
    „Wer ist das?“ fragte er fast atemlos.
    „Das ist unser Waldröschen“, antwortete sie.
    „Waldröschen? Ein neues Rätsel!“
    „Aber ein liebes, süßes Rätsel für Sie, mein lieber Doktor. Ahnen Sie denn nichts? Fühlen Sie denn nichts beim Anblick des reizenden Wesens?“
    Da verfärbte sich sein Gesicht. Röte und Blässe wechselten miteinander ab. Er streckte seine zitternden Hände Amy entgegen und fragte:
    „Was wollen Sie damit sagen, Mylady? Doch nicht, daß – daß –“
    Er stockte vor innerer Erregung.
    „Nun – daß –?“ wiederholte sie.
    „Waldröschen! Sie heißt also Röschen – Rosa?“
    „Ja.“
    „Das ist der Name meiner Frau – – –“
    „Allerdings.“
    „Und sie schrieb mir einst – ach vor langen Jahren, daß meinem und ihrem Herzen eine große, große Freude bereitet sei.“
    „Schrieb sie das? Nun ja, diese Freude ist ihr geworden, Señor!“
    „In Gestalt dieses entzückenden Wesens?“
    „Ja. Waldröschen ist Ihr einziges Kind, Ihre Tochter.“
    „Meine Tochter!“
    Er stand erst eine ganze Weile wie traumverloren da; dann nahm er das Bild von der Wand; es bebte in seinen sonst so starken und jetzt doch zitternden Händen. Und während seine Augen in einem fast überirdischen Glanz auf demselben ruhten, sanken seine Knie mehr und mehr zusammen, bis sie den Teppich berührten und er, ohne es zu wissen und zu wollen, die Stellung eines Beters angenommen hatte.
    „Herr“, hörte sie ihn flüstern, „ich habe viel erlitten und erduldet, aber eine solche Gnade bin ich doch nicht wert!“
    Jetzt konnte sie nicht länger warten; sie schritt ganz leise zur Tür hinaus, um das Heilige dieses Augenblicks nicht zu entweihen.
    Draußen befanden die Herren sich in einem eifrigen Gespräch. Auch hier wollte sie nicht stören; darum

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