47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
folgen.“
Dieser Vorschlag wurde sogleich ausgeführt. Die vierzehn Männer stiegen auf und ritten zunächst in nördlicher Richtung davon. Erst als es so licht geworden war, daß man den Berg erblicken konnte, schlugen sie die westliche Richtung ein, in welcher sie ihn erreichen mußten.
Sie langten an seinem nordöstlichen Fuß an und ritten unter dem dichten Dach des Waldes an seiner Seite empor. Dies ging nicht leicht und wurde noch schwerer, als oben die Bäume dichter zusammentraten.
Sie waren jetzt gezwungen, abzusteigen und die Pferde an den Zügeln zu führen. Es gab hier keine Wege oder irgend etwas, was einem Pfad geglichen hätte.
„Wollen wir nicht anhalten und hierbleiben?“ fragte Cortejo.
Er richtete die Worte an den Amerikaner, dessen ganzes Verhalten die anderen unwillkürlich gezwungen hatte, ihn stillschweigend als Anführer anzuerkennen. Grandeprise fragte:
„Warum hier, Señor?“
„Weil wir hier wohl eben so sicher sind als oben und wir den Weg und die Anstrengung nicht haben.“
„Bleibt, wo Ihr wollt! Ich aber reite vollends hinauf.“
„Zu welchem Zweck denn?“
„Da oben gibt es jedenfalls eine weite Aussicht. Vielleicht ist es möglich, eine Stelle zu finden, von welcher aus man die Hacienda, von weitem wenigstens, beobachten kann.“
Das war ein Grund, den die anderen anerkannten. Sie arbeiteten sich also, die Pferde hinter sich führend, immer weiter den Berg hinan.
Endlich hörte die Steigung auf. Das Terrain wurde ebener, und man bemerkte, daß das Plateau erreicht war. Nach kurzer Zeit sah man einen lichten Streifen vor sich durch die letzten Bäume schimmern. Der Amerikaner ging voran und wollte eben zum Rand des Waldes heraustreten, als er schnell wieder zurückfuhr.
„Was gibt es?“ fragte Cortejo, der sich hinter ihm befand.
„Pst! Reiter!“
„Wo?“
„Dort links kommen sie zwischen den Büschen hervor. Es muß dort eine Art von Weg geben. Schafft die Pferde zurück, damit ihr Schnauben uns nicht verraten kann!“
Die Tiere wurden von einigen der Leute genügend weit zurückgeführt und dort angebunden. Die anderen hielten unter den Bäumen, um die Reitergruppe zu beobachten, welche jetzt deutlich zu erkennen war.
„Seht Ihr die zwei vordersten?“ fragte der Amerikaner.
Aus Cortejos Gesicht war alles Blut gewichen.
„Ja“, antwortete er.
„Kennt Ihr sie oder wenigstens einen von ihnen?“
„Mein Gott! Die Toten sind lebendig geworden! ‚Büffelstirn‘!“
„Und der andere?“
„Helmers!“
„Ja, ‚Donnerpfeil‘. Und weiter – alle Teufel, die anderen haben ja ein Mädchen bei sich!“
„Heilige Jungfrau!“ rief Cortejo beinahe laut. „Das ist Josefa!“
„Eure Tochter?“
„Ja.“
„Welch ein Zufall! Wie gut, daß wir nicht unten geblieben sind.“
„Was wollen sie hier oben? Was wollen sie mit ihr?“
„Das werden wir wohl sehen. Sie reiten da rechts hinüber. Kriechen wir ihnen zwischen den Sträuchern nach, Señor!“
Sie legten sich auf den Boden und folgten dem Jäger, welcher sich wie eine Schlange fortbewegte. Nach kurzer Zeit hielt er an. Von da aus, wo er lag, konnte man die ganze Szene überblicken.
„Ein Teich!“ flüsterte er. „Seht Ihr's, Señor Cortejo?“
„Ja. Man wird sie doch nicht etwa ertränken wollen?“
„Nein, sicherlich nicht. Um sie hier zu ertränken, hätte man den Ritt nicht gemacht, es wäre bequemer gewesen, sie auf der Hacienda zu töten. Ihr Zweck muß ein anderer sein.“
Sie sahen, daß die Reiter abstiegen, Josefa mit ihnen. Sie sahen auch, daß die letztere gebunden war. Sie bemerkten, daß ‚Büffelstirn‘ mit dem Mädchen sprach, dann an das Wasser trat und einen lauten, klagenden Ruf erschallen ließ. Sofort zeigten sich die Krokodile.
„Gott, mein Gott, jetzt weiß ich, was sie wollen!“ sagte Cortejo, indem ein sichtbares Zittern seinen ganzen Körper überfuhr.
„Was?“ fragte Grandeprise.
„Sie wollen sie den Krokodilen vorwerfen.“
„Unsinn!“
„O, gewiß! Das ist der fürchterliche Krokodilteich der Mixtekas.“
„Kennt Ihr ihn?“
„Ja.“
„Und doch seit Ihr noch nicht hier gewesen, wie ich denke?“
„Mein Neffe war oben. Er sollte auch von den Tieren gefressen werden.“
„Das wäre ja fürchterlich, geradezu unmenschlich!“
„Ja. Seht Ihr jenen Baum? An ihm hatte man ihn aufgehängt, gerade über dem Wasser, damit die Scheusale ihn in Stücke reißen sollten.“
„Sie haben ihn zerrissen?“
„Nein; es ist ihm gelungen,
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