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47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

Titel: 47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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„Wie meint Ihr das?“
    „Ich meine natürlich geistig gleich begabt, nicht körperlich, denn da habe ich Euch nichts zu bieten, und Ihr steht hoch über mir.“
    Ihr Gesicht nahm den Ausdruck der Güte und Milde an, mit welcher man zu einem Kind spricht, als sie jetzt langsam fragte:
    „Ah, Ihr seid auch geistig begabt, Señor?“
    Er wußte gar nicht, was für ein Gesicht er zu dieser Frage machen sollte. Er wurde beinahe verlegen, und in befangenem Ton fragte er:
    „Zweifelt Ihr daran?“
    „O nein. Ein jeder Mensch besitzt ja mehr oder weniger geistige Begabung. Aber wenn man diese Begabung nach der Stellung beurteilt, welche Ihr Euch errungen habt, so – hm, vollendet Euch den begonnenen Satz selbst.“
    Jetzt spielte ein leichtes, spöttisches Lächeln um seine Lippen.
    „Welche Stellung bekleidet denn Ihr, Señorita?“ fragte er.
    „Ah, Ihr werdet scharf und spitz“, lachte sie. „Es gibt Stellungen und Einflüsse, von denen man nicht spricht, Señor.“
    „Da habt Ihr ein wahres Wort gesprochen. Also sprechen wir von meiner Stellung und meinen Einflüssen ebenso wenig, wie wir von den Eurigen reden wollen, wenigstens für jetzt.“
    „Aber wenn wir darüber schweigen, wie wollt Ihr mir beweisen, daß Ihr mir eine Existenz bieten könntet, wie ich sie verlange?“
    „Das ist nicht schwer. Ich bin bereit, Euch diesen Beweis zu liefern, wenn ich von Eurer Verschwiegenheit überzeugt sein kann.“
    „Ich verstehe zu schweigen, Señor.“
    „Gut, so kommt mit mir.“
    Er nahm zwei Schlüssel von der Wand und brannte sich eine kleine Blendlaterne an. Sie fixierte die beiden Nägel, an denen die beiden Schlüssel gehangen hatten, um sie dieselben genau zu merken.
    Nun verließ er mit ihr das Zimmer und stieg eine Treppe hinab. Er führte sie durch einen langen niedrigen Keller und öffnete mit einem der Schlüssel eine starke, eichene Tür, welche in einen zweiten Keller führte. Hier gab es abermals eine Tür welche von dem zweiten Schlüssel geöffnet wurde. Sie traten in einen langen schmalen Gang, in welchem rechts und links zahlreiche Türen angebracht waren.
    „Das waren die Gefängniszellen des Klosters della Barbara“, sagte er.
    Er schob den Riegel einer dieser Türen zurück und öffnete. Sie traten in eine dumpfe, kleine Zelle, die weder Licht noch Luft hatte. Sie schien in die kompakte Masse des Felsens eingehauen zu sein, obgleich dieser letztere zahlreiche kleine Risse und Sprünge zeigte.
    „Leer!“ sagte sie. „Soll ich etwa hier den erwarteten Beweis finden?“
    „Allerdings“, antwortete er.
    „In welcher Weise?“
    „Das werdet Ihr gleich sehen.“
    Er bemerkte nicht, daß sie mit scharfem Auge jede, auch die kleinste seiner Bewegungen verfolgte und beobachtete.
    Er leuchtete an einen der erwähnten Sprünge. Es war der bedeutendste, obgleich er kaum so stark war, daß man den kleinen Finger hineinzubringen vermochte. Nur an einer einzigen Stelle war es möglich, die flache Hand in den Riß zu stecken. Der Pater tat dies und sogleich ließ sich ein leichtes Rollen vernehmen. Ein Teil der Felsenwand, welcher von dem Riß ganz unauffällig umzeichnet wurde, wich zurück, und nun sah Señorita Emilia einen größeren, finsteren Raum vor sich, in den sie traten, ohne daß der Pater den Eingang wieder verschloß.
    Er trat voran, und sie folgte ihm. Bei dieser Gelegenheit legte sie ihre Finger genau an die Stelle des Risses, in welche er seine Hand gesteckt hatte. Sie bemerkte einen dicken Stift, welcher vielleicht einen halben Zoll hoch aus dem Stein hervorragte, doch hütete sie sich sehr, daran zu drücken; der Felsen hätte sich ja zurückbewegen und sie also leicht verraten können. Das mußte sie vermeiden.
    In dem verborgenen Raum angekommen, erblickte Emilia auf Tischen und Gestellen eine ganze Menge von Büchern, Flaschen, Kapseln, Instrumenten und Apparaten, von deren Zweck sie kein Verständnis hatte.
    Der Pater schritt an diesen Sachen vorüber und blieb vor einer leeren Stelle der Mauer stehen. Er klopfte daran und sagte:
    „Dahinter steckt der Beweis, welchen Ihr verlangt.“
    Das Klopfen hatte dumpf und hohl geklungen. Auch jetzt blickte Emilia mit größer Spannung nach seiner Hand, um sich keine Bewegung derselben entgehen zu lassen. Hilario hielt die Laterne näher an die Wand, so daß das Licht derselben scharf auf die Mauer fiel. Da erblickte das Mädchen nun allerdings eine Art Linie, welche ein viereckiges Stück Mauerwerk scharf von dem übrigen

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