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47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile

Titel: 47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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er im Ton der Überlegenheit.
    „Welch ein Reichtum!“
    „Nicht wahr? Das sind viele Millionen.“
    „Das repräsentiert ja ein geradezu fürstliches Vermögen.“
    „Mehr als das! Unser Kloster war reicher, war mehr wert als manches Fürstentum. Als die weltliche Macht Besitz von ihm ergriff, habe ich diese Schätze gerettet.“
    „Wie konnte Euch das gelingen? Man mußte doch wissen, daß alle diese Kostbarkeiten vorhanden seien.“
    „Man wußte es allerdings“, sagte er mit einem höhnischen, beinahe diabolischen Lachen; „aber es gab mehrere Mittel zum Ziel zu kommen.“
    „Welche zum Beispiel?“
    „Davon später. Jetzt sagt mir einmal, ob Ihr nun glaubt, daß ich reich bin!“
    „O, Ihr seid doch nicht der Besitzer dieser Sachen?“
    „Wer denn?“
    „Sie gehören Euch doch nicht.“
    „Wem sonst?“
    „Dem Staat.“
    „Dem Staat? Laßt Euch doch nicht auslachen! Wem gehört denn der Staat? Dem Juarez, dem ‚Panther des Südens‘, dem Max von Österreich und den Franzosen? Einem von ihnen, keinem von ihnen, oder ihnen allen? Was ist überhaupt Staat? Ist Mexiko jetzt Staat? Mexiko ist herrenlos, ist der Anarchie preisgegeben, und jeder soll das nehmen, was ihm in die Hände kommt.“
    „Ihr predigt ja Raub und Diebstahl.“
    „Unsinn. Ich predige nichts als Klugheit. Diese Sachen können dem Kloster nicht gehören, denn es ist aufgehoben. Sie können dem Staat nicht gehören, denn es gibt keinen konsolidierten Staat in Mexiko, und selbst wenn es einen gäbe, so würde derselbe nicht das mindeste Recht am Eigentum der Kirche haben. Ich bin der einzige, der von dem Kloster übrig geblieben ist, und so gehört mir auch alles, was vom Eigentum dieses letzteren vorhanden ist. Gebt Ihr mir recht oder nicht?“
    Sie wußte, daß er sich im offenbarsten Unrecht befand, aber sie durfte es mit ihm nicht verderben, und zugleich übten diese Reichtümer ihre Wirkung auf sie aus. Welches Weib könnte gleichgültig bleiben, wenn die Strahlen von tausend Diamanten und Juwelen in sein Auge fallen.
    „Ich will Euch nicht wiedersprechen“, sagte sie.
    „Ihr betrachtet mich also als Herr dieser Schätze?“ fragte er.
    „Ja“, antwortete sie.
    „Nun, so frage ich Euch, ob Ihr die Herrin werden wollt.“
    Seine Augen ruhten ebenso lüstern und begierig auf ihren Reizen wie die ihrigen auf den wertvollen Steinen. Sollte sie die Frau dieses Mannes werden? Dieser Gedanke beschäftigte sie. Es wäre ein großes Opfer von ihr gewesen, sich mit ihrer Schönheit, ihrer Sinnesglut an diesen häßlichen, kraftlosen Greis zu fesseln. Aber dieses Opfer wurde ja überreichlich aufgewogen durch das lockende Besitztum, welches er ihr anbot.
    Aber konnten diese Schätze nicht auch auf andere Weise in ihre Hände gelangen, ohne daß es notwendig war, sich an diese menschliche Ruine zu ketten? Zehn und noch mehr Möglichkeiten waren vorhanden; diese Angelegenheit mußte reiflich überlegt werden.
    „Muß ich mich denn sofort entscheiden?“ fragte sie.
    „Ich möchte Euch darum bitten!“
    „Und ich muß Euch um Bedenkzeit ersuchen!“
    „Warum?“
    „Der Schritt, welchen Ihr von mir fordert, darf nicht leichtsinnig getan werden.“
    „Ihr mögt nicht ganz Unrecht haben, aber die Liebe zaudert nicht.“
    „Sobald sie wirklich vorhanden ist, ja.“
    „Also bei Euch ist sie nicht vorhanden?“
    „Noch nicht, Señor. Ihr könnt mir dies nicht übelnehmen. Ich gehöre nicht zu den Naturen, welche bereits beim ersten Blick brennen. Desto treuer aber sind meine Gefühle, wenn sie sich entwickelt haben.“
    „Gut, ich will Euch nicht drängen; aber eines verlange ich einstweilen.“
    „Was?“
    „Ich bin so aufrichtig gewesen, daß ich wohl einen kleinen Lohn, eine Art Abschlagszahlung erwarten darf.“
    „Abschlagszahlung? Ich verstehe Euch nicht. Worin soll sie bestehen?“
    „In einem kleinen Kuß.“
    Er spitzte bereits den Mund und machte Miene, sie zu umfangen; sie aber trat rasch zurück und streckte die Hände abwehrend vor.
    „Nicht so schnell, Señor!“ sagte sie. „Ich werde niemals einen anderen küssen als den, welchem ich angehören werde.“
    „Aber ich hoffe doch, daß ich dies sein werde!“
    „Möglich! Sicher aber ist es noch keineswegs.“
    „So bedenkt doch, daß ein Kuß keine Sünde ist.“
    „Eine Sünde nicht, aber eine Kinderei. Nur zwischen Leuten, in denen die Liebe mächtig ist, hat er einen Zweck.“
    „Ihr verweigert mir ihn also?“
    „Ja.“
    Sie wußte genau, daß sie

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