49 - Der Zorn von Antares
Andachten auch mit anderen religiösen Symbolen abgehalten werden. Ich hatte ein paar der prächtigen goldenen Idole auf ihren vergoldeten Stangen gesehen. Khon konnte das Schwingenpaar, dessen Spitzen zusammentrafen und die das Prisma der Macht verbargen, also behalten und nach Belieben benutzen. Man mußte es nur gelegentlich bei besonderen Anlässen wieder in den Tempel bringen. Khon würde danach schon wieder dafür sorgen, daß er es umgehend zurückbekäme.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis es in dem Palast wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen zuginge. Noch blieb uns eine kurze Atempause. Unmittelbar hinter der Abzweigung stützten zwei Statuen einen über einer Tür befindlichen Architrav. Die Tür war geschlossen, und eine winzige Staubspur vor der Schwelle, wo die Sklaven nicht ordentlich geputzt hatten, legte die Vermutung nahe, daß sie nur selten benutzt wurde. Die Statuen stellten zwei Chranster dar, eine eher seltene Diff-Rasse, die hüftaufwärts einen großartigen Körperbau aufweisen, jedoch einen zotteligen und verkümmerten Unterleib haben. Die Statuen zeigten nur die obere Körperhälfte. Die weiblichen Vertreter dieser Spezies waren so großzügig ausgestattet wie Sylvies. Ich starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
Ich hatte schon immer die Meinung vertreten, daß Palastarchitekten seit jeher die Neigung besaßen, die Knöpfe und Hebel zur Öffnung der Geheimtüren in den rundlicheren Teilen ihrer Skulpturen zu verbergen. Die Anordnung der Wände war meinen Erfahrungen nach ein deutlicher Hinweis, daß hinter ihnen ein Geheimgang verlief.
Ich trat auf das Standbild zu, fand einen Knopf und drückte ihn, als hinter mir plötzlich Kampfgeräusche ertönten.
Ich fuhr mit dem Schwert in der Faust herum und sah, wie Fweygo gerade von dem dritten Wächter zurücktrat, der sich zu seinen Kameraden gesellte, die bereits in einer immer größer werdenden Blutpfütze am Boden lagen.
Fweygo ließ die Klinge durch die Luft pfeifen. »Komm schon, Drajak! Versuch wenigstens mitzuhalten!«
Ich wies mit dem Kopf auf die dunkle Öffnung, die gerade enthüllt wurde, als die Tür in der Wand beiseite glitt, und meinte höflich, daß dieser Weg von Vorteil sei.
Fweygo rieb sich mit der Schwanzhand die Nase. »Wie hast du ...?« setzte er an, hielt inne und fuhr dann fort: »Ja. Großartige Idee.«
Ich sparte mir ein Lächeln – zumindest äußerlich – und gestattete meinem Kameraden, als erster durch die Geheimtür zu treten.
Wie in den meisten kregischen Tempeln und Palästen verliefen die Geheimgänge auch hier zwischen den Wänden. In unregelmäßigen Abständen angebrachte Schlitze sorgten für Licht und Belüftung. An den Wänden türmte sich Staub zu kleinen Hügeln auf, ein sicherer Hinweis, daß die Gänge benutzt wurden. Flanghäute hingen von Vorsprüngen herab, Spinnweben bildeten zerbrechliche Netze. Wir gingen leise weiter.
Natürlich geriet mir der Staub in die Nase, und ich mußte sie in meinem Halstuch vergraben, um ein Niesen zu unterdrücken.
»Sei bloß still, Drajak!« Fweygos Worte waren so scharf wie ein Stilett. »Jemand ist in dem Gemach jenseits der Wand.«
Er spähte durch einen Schlitz, wartete reglos ein paar Herzschläge lang, wich zurück und ging lautlos weiter. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, einen Blick in den Raum zu werfen, und folgte ihm. Ich befand mich in einem Zustand, der mir seltsam vorkam. Nach außen hin schlich ich ganz ruhig mit meinem Kameraden durch die Geheimgänge. Aber tief in meinem Innern brodelte es vor Wut, die von Unzufriedenheit und dem Verlangen, endlich Erfolg zu haben, noch geschürt wurde. Seltsamerweise fürchtete ich mich vor dem Zeitpunkt, da dieser Zorn sich freie Bahn brechen und explodieren würde.
Nun wußte Fweygo ebensogut wie ich, daß wir diese verborgene Welt hinter den Mauern nicht betreten hatten, um uns vor den Wachen zu verbergen. Das genaue Gegenteil traf zu; wir konnten uns die Bewohner der verschiedenen Gemächer ansehen und unseren Mann herauspicken.
Der Kildoi widmete sich dieser Suche. Wir waren gerade eine mit Flang übersäte Treppe hinaufgestiegen, als Fweygo durch den Schlitz blickte, nickte und mich heranwinkte.
Das Gemach auf der anderen Seite der Wand war gemütlich eingerichtet. Samphronöl-Lampen verbreiteten angenehmes Licht. Neben einem Sofa stand eine Amphore in einem dreibeinigen Gestell; dort saß ein rotgesichtiger leutseliger Bursche in einem Hausmantel. Der Mantel war dunkelrot.
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