5 1/2 Wochen
eingezogenem Kopf unter dem Türrahmen - noch ein freundliches „buena noche, hasta luego (schönen Abend, bis bald)“ in seinen gefüllten Gastraum. Wow! Lächelnd sieht der wirklich nicht mehr so gefährlich aus!
Kurz darauf ruft die Wirtin zum Abendessen. Wir sind ungefähr zwanzig Pilger, die alle an einem langen gedeckten Tisch Platz nehmen. Das Abendessen ist im Übernachtungspreis mit drin. Es gibt eine Suppe, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse und Nachspeise. Das Fleisch kann ich nicht so richtig zuordnen und lasse lieber die Finger davon. Ansonsten schmeckt das Essen aber erstaunlich gut. Nach einem ausgelassenen Abend verziehen sich alle nach und nach in ihre Zimmer. Luigi erzählt mir übrigens noch, wie katastrophal das Hotel auf der anderen Straßenseite ist. Da sind sie nämlich zuerst drin gewesen und haben auf dem Absatz wieder kehrt gemacht. Na! Dann hab ich ja alles richtig gemacht!
Nach dem Duschen will ich das Fenster öffnen. Das geht aber nicht. Der Fenstergriff bleibt unbeweglich. Irgendwie sieht es hinter der milchigen Scheibe so aus, als hinge da Wäsche. Das kann aber doch gar nicht sein, wir sind doch eine ziemlich lange Treppe hochgegangen. Es kann kein Garten oder Hof hinter dem Fenster sein. Neben der Badtür im Schlafzimmer entdecke ich noch ein Fenster. Das ist klarsichtig und mir bei der Besichtigungstour gar nicht so aufgefallen. Aber ein Blick durch die Scheibe löst das Rätsel. Fünf oder sechs lange Wäscheleinen sind in einem angrenzenden Raum gespannt und hängen heftigst durch. Sie kämpfen mit Bettwäsche, Handtüchern und T-Shirts. Die Aussicht ist also leider nicht auf die Berge gerichtet, sondern in einen Trockenraum.
Es hat was Gespenstisches, so im Halbdunkeln. So, wie wenn ich früher als Kind mit meiner Mutter auf dem Speicher zum Wäschemachen war. Ich bin zwar immer freiwillig mit da hoch gegangen, fand das jedoch schon damals mehr beängstigend als lustig. Vor allem dann, wenn Bettwäsche hing. Die reichte bis fast zum Boden und ich konnte nie sehen, ob da nicht irgendjemand lauert. Plötzlich fühle ich mich in diesem Zimmer wie eingesperrt.
Ich glaube, mir bekommt die Bergluft nicht! Wie bin ich denn drauf? Was ist mit positivem Denken? „Immer das Beste in jeder Situation sehen“, lautet meine Devise. Ich setze mich einen Moment auf den Stuhl, atme tief durch und rufe mir ins Bewusstsein: „Bin hier untergekommen, hab den Riesen in meine Gewalt bekommen, durfte das Kaminfeuer genießen, Ruddi darf hier sein, im Zimmer gegenüber schlafen liebe Pilgerfreunde mit denen ich heute Abend viel gelacht habe, bin satt, frisch geduscht, meine Wäsche ist gewaschen und ich sitze vor einem richtigen Bett. Ich mache gleich einfach, schön warm zugedeckt, die Augen zu und entspanne mich und vor allem meinen Körper.“
Gesagt, getan. Husch, husch, ab ins Bettchen. Ich krieg das Riesending gar nicht angewärmt. Ich hätte mich besser direkt unter die Decken gelegt. Auf dem Stuhl ist mein Körper ausgekühlt. Dieses Zimmer wird gar nicht geheizt. Es ist nasskalt. Am liebsten würde ich Ruddi unter meine Decke legen. Er ist in der Lage mich innerhalb weniger Minuten aufzuheizen. Ob er da unten auf dem kalten Boden in seiner Tasche auch friert? Ich glaube ja, der hat sich schon sehr eng zusammengekringelt.
Da kommt mir die Idee! Blitzschnell fliege ich aus dem Bett an meinen Rucksack und rupfe meinen Schlafsack raus. Kurz darauf liegen Schnurzel und ich eng aneinander gekuschelt im Bett. Aber mit Schlafsack dazwischen, da kann keiner was gegen haben! Das bleibt eine Ausnahme, aber heute müssen wir uns vor Gefrierbrand schützen. So kalt war mir noch nie. Der Zweck heiligt die Mittel. Wir lassen beide einen tiefen Seufzer der Erleichterung los. Ruddi schnarcht wenige Sekunden später ganz leise vor sich hin. Ich brauche noch einen Moment. Nebenan im Zimmer wird ebenfalls zu zweit gegen die Kälte angekämpft. Was machen die denn? Stellen die mitten in der Nacht die Möbel um? Es rumpelt ab und zu an meiner Wand. Wenig später artet das Rumpeln zu einem rhythmischen fordernden Klopfen aus. Tun die das, wonach es sich anhört? Wie spannend! Ich kann gar nicht wie gewohnt meinen Tag Revue passieren lassen.
Meine ganze Aufmerksamkeit gilt ungewollt den Geräuschen, die aus dem Nebenraum kommen. Es ist wie bei einem Unfall, man will nicht hingucken, kann aber gar nicht anders. Das wird immer heftiger und lauter. Mittlerweile wackeln im wahrsten Sinne des Wortes die Wände. Es
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