5 1/2 Wochen
„Bitte“ angekommen. Na dann: „Sí, noch einen Café con leche, por favor!“ und zeige auf meine Tasse. Sie bringt mir tatsächlich noch einen. Mit dem Rücken zum Kaffeekränzchen zwinkert sie mir endlich mit einem Blick auf Perrito zu und gibt mir zu verstehen, dass sie es auch schade findet, dass die Damen keine Hunde mögen.
Um sie aus der Situation als Gewinnerin rausgehen zu lassen, bezahle ich schon mal mit klimperndem Kleingeld. So können die feinen Damen beruhigt meinem baldigen Abschied entgegensehen. Meinen Kaffee trinke ich aber trotzdem noch in aller Ruhe aus und verlasse dann mit einem fröhlichen „adiós“ auf den Lippen das Café.
Auf den folgenden vier Kilometer geht es wieder 200 Meter höher nach San Xil. Aber die verdoppeln sich, denn es geht ständig steil auf und ab. Steinige, schlammige, beschissene Viehwege wechseln sich mit geteerten Nebenstraßen ab. Ein einziges Auto kommt mir nach ungefähr eineinhalb Stunden entgegen. Der Weg durch das San-Xil- Tal zeigt mir neben seiner überaus reizvollen Landschaft und ursprünglichen Natur auch das einsame, authentische Galicien. Obwohl ich körperlich am Ende bin, fühle ich mich hier irgendwie gut aufgehoben.
Seit Triacastela habe ich außer dem Autofahrer keine Menschenseele mehr gesehen. Es gibt in diesem Tal keine Bars oder sonstige Verpflegungsmöglichkeiten. Wie aus dem Nichts aufgetaucht, geht nun gemächlichen Schrittes ein alter Mann mit einer Riesenaxt über der Schulter vor mir her. Ich hoffe er ist Waldarbeiter und kein Massenmörder. Wo kommt der denn her? Das letzte bewohnte Haus hab ich vor langer Zeit gesehen. Und wo will er denn hin mit seiner Axt? Holz holen? Ohne Sack, Schubkarre oder Trecker? Seine Kleidung würde ja dazu passen. Ist schon ein bisschen komisch. Soll ich ihn überholen oder vom Gas gehen und dahinter bleiben?
Auf einem besonders steilen Stück Weg wird er so langsam, dass es mir so vorkommt als ginge er rückwärts. Tja, dann woll'n wir mal sehen, was das für ein Zeitgenosse ist. Ruddi findet ihn auf jeden Fall ungefährlich. Fröhlich umkreist er ihn einmal und beschäftigt sich sofort wieder mit für ihn wichtigeren Dingen. Na, dann kann der Señor nichts Böses im Sinn haben. Nach acht Jahren Beziehung kann ich mich hundertprozentig auf Schnurzel verlassen. „Hola, qué tal?“ Wir gehen ein kurzes Stück zusammen und ich erfahre, dass er in diesem einsamen Landstrich zuhause ist. Er wohnt alleine und ohne jeden Luxus in einem uralten Haus, das dringend eine Sanierung nötig hätte. Dieser alte Mann hat strahlende, fast funkelnde Augen, als er mir „sein“ Land zeigt. Mit leiser, bewundernder Stimme und ausschweifenden Handbewegungen führt er meinen Blick an Waldränder, über Wiesen und Felder. Ich glaube er ist einer der glücklichsten Menschen in Galicien. Er kann sich nicht vorstellen, anders zu leben. Er holt ein paar Holzscheite aus dem Wald in dem hauptsächlich Kastanien und Eichen stehen, um seinen Ofen anzufeuern. Einen Jutesack hat er übrigens vorne an seinem Gürtel hängen.
Ich finde es jedes Mal aufs Neue faszinierend, mich mit den Einheimischen zu unterhalten. Das ist so ein anderes Leben, hier auf dem Camino. Das hat mit dem, was wir in Deutschland kennen, nichts zu tun. Die meisten haben kaum Hab und Gut, aber die unglaubliche Lebensfreude, die sie umgibt, kann man deutlich spüren. Nach einer solchen Begegnung habe ich immer besonders viel Energie und frische, angenehme Gedanken.
Kurz darauf gerate ich in ein Unwetter, das mir so richtig Angst einjagt. Von einer Sekunde auf die andere ist es da. Der Himmel war zwar dunkel, aber mit so was habe ich im Leben nicht gerechnet. Mir fällt Hermann ein, der mir vor ewig langer Zeit in den Bergen geraten hat, den Poncho frühzeitig überzuziehen, weil es plötzlich losgehen kann und dann keine Zeit mehr bleibt, sich zu schützen.
Ein Sturm kommt auf, es wird extrem dunkel, Hagel prasselt auf meinen Kopf, es blitzt und donnert über mir und Ruddi haut auch noch ab. Ich gerate ein wenig in Panik, schrei ihn an, er möge zu mir kommen. Währenddessen kämpfe ich wie verrückt mit meinem Poncho. Der Sturm, der in einen Orkan ausartet, hat ihn besser im Griff als ich. Und diesmal ist kein Hermann dabei, der das Regencape bändigt. Im Nu bin ich so patschnass, als hätte jemand einen Eimer Wasser über mir ausgeschüttet. Ich gebe nicht auf! Endlich sitzt der Poncho! Mann!
Ruddi hat sich unter einem Mauervorsprung mitten auf einer
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