5 1/2 Wochen
Wiese versteckt. Er sitzt zitternd wie Espenlaub da und traut sich, trotz meiner verzweifelten und sehr ernst zu nehmenden Befehle, nicht in den Hagel. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu holen. Schnell setze ich ihn unter meinen Poncho und mach mich so klein ich kann. Nicht, dass der Blitz uns trifft. Sturzbäche laufen die Straße herunter, so heftig ist der Regen, der den Hagel abgelöst hat. Bäume geben sich dem Orkan hin und ihre Äste wiegen sich bedrohlich weit hin und her. Mein Poncho droht zu zerreißen. Ich muss mich richtig anstrengen, um nicht aus der Hocke geblasen zu werden.
Das Ganze hat sicher nicht länger als fünf Minuten gedauert, hinterlässt bei uns beiden aber einen wohl lebenslangen Eindruck. Wow! Ich habe echt Respekt vor den Naturgewalten - vor allem in den einsamen Bergen.
Tief beeindruckt schau ich den abziehenden schwarzen, schweren Wolken hinterher. Mit jedem Moment geben sie ein Stück mehr von der faszinierenden Aussicht auf die imposante Gebirgslandschaft frei. Genauso schnell wie es kam, ist es auch wieder vorbei. Der Orkan hat sich mit den schwarzen Wolken verzogen. Es ist wieder hell und die Vögel zwitschern besonders schön. Die Sonne zwinkert mir durch einige lockere weiße Wolken zu. Es riecht so herrlich nach reiner Natur - nasser Wiese und Wald. Es ist wieder Frieden eingekehrt in meine Pilgerwelt. Ich fühle mich tatsächlich wie aus der Hölle befreit und ins Paradies versetzt.
Ruddi wirkt noch ein bisschen geschockt. Zitternd und mit großen Augen sitzt er vor mir und sieht mich hilfesuchend an. Regen tropft aus seinem Fell. Er erinnert ein bisschen an einen nassen Biber und ich muss laut lachen. Ich trockne ihn ab so gut es geht und rede beruhigend auf ihn ein. Nach wenigen Minuten ist auch er wieder startklar.
Uns kommt ein Pilger ENTGEGEN! Wo will der denn hin? Weit und breit gibt es hier keinen Anlaufpunkt in Form einer Gaststätte oder eines Geschäfts, der einen Pilger dazu bewegen könnte, in die falsche Richtung zu gehen. Wir kommen ins Gespräch und ich erfahre, dass er in Santiago de Compostela gestartet ist und bis Saint Jean Pied de Port gehen will. Er läuft den Jakobsweg eben in die andere Richtung, nachdem er die „richtige“ in den letzten Jahren schon zweimal bezwungen hat. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Mir fällt ein, dass mir in den ersten Tagen dieser Expedition auch schon mal ein Pilger entgegenkam. Ich halte es für schwierig, sich „rückwärts“ auf dem Camino zu bewegen. Die Wegweiser sind doch gar nicht zu erkennen. Sie sind so angelegt, dass sie dem Pilger, der nach Westen wandert, meist direkt ins Auge springen, aber umgekehrt?! Er sagt: „Wenn Du den Weg zweimal gelaufen bist, weißt Du wo Du lang musst.“ Na dann! „Buen camino!“ Eine weitere Variante den Jakobsweg zu laufen.
Nun geht es durch Wälder, über Vieh- und Feldwege. Durch das Unwetter sind sie noch aufgeweichter und ich muss wieder jeden Schritt genauestens planen, damit es mich nicht hinhaut. Würde das passieren, sähe ich nicht nur aus wie eine Wildsau, sondern verbreitete auch den gleichen „Duft“ und würde sicher nirgendwo mehr aufgenommen. Knöcheltiefer, übelst stinkender Matsch! Ich muss darauf achten, dass der nicht in meinen Schuhen landet. Diese Aktion ist sehr kräfte- und zeitraubend. Ich bin mehr als überfällig für einen Café con leche. Meine Hoffnung darauf ist mitten in der Wildnis nicht besonders groß. Ich rede mir gut zu, damit es überhaupt weiter gehen kann. Gefühlsmäßig komme ich zurzeit nur Zentimeter um Zentimeter voran. Wo - und vor allem wann - soll das nur enden?
In einem kleinen Hexenhäuschen im dunklen Wald! Plötzlich ist es da! Ich höre Stimmen. Ja, gewonnen! Es ist tatsächlich ein Wirtshaus.
Überglücklich betrete ich einen winzig kleinen Gastraum. Es ist warm und gemütlich hier drin. Erschöpft lasse ich mich auf den ersten Stuhl fallen, der sich mir in den Weg stellt. Die Wirtsleute wissen genau, was ich den letzten Stunden durchgemacht habe. Ich werde inklusive Ruddi warmherzig empfangen - trotz meiner Drecksklumpen. Der heiße Kaffee wird mir an den Tisch gebracht. Ich sitze gegenüber einer Treppe. Ein junges Paar kommt herunter, ignoriert den Gestank, der von meinen Schuhsohlen ausgeht, setzt sich zu mir und begrüßt mich mitfühlend in meiner Muttersprache.
Ich befinde mich erstaunlicherweise in einer Herberge. Es gibt hier nur vier Schlafplätze und ein Doppelzimmer. Und das scheint
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