5 1/2 Wochen
anzupassen.
Kurz vor Viduedo geht es weiter auf Viehsteigen. So entspannend die letzten Kilometer waren, so schockierend ist das, was sich mir jetzt bietet. Macht denn hier keiner sauber? Zentimetertiefer Mist, also Scheiße, ziert den Weg. Durch den Regen der letzten Tage ist der Weg sowieso schon total aufgeweicht. Matsch und Viehmist vereinigen sich zu einem unglaublich glitschigen Zeug. Es gibt kein Entkommen, keine Ausweichmöglichkeiten. Ich muss dadurch. Es stinkt erbärmlich. Nur nicht ausrutschen! Volle Konzentration bei jedem Schritt!
Ich arbeite gerade daran, mich mit der Situation anzufreunden, als mich zwischen zwei Bauernhöfen eine alte Señora anspricht: „Tienes hambre, (hast Du Hunger)?“ Sie hält mir einen Teller frischer Pfannkuchen unter die Nase. Halluziniere ich jetzt? Nein! Es ist wirklich wahr! Ich kann mein Glück kaum fassen. Ich liebe Omelettes in vielen Varianten heiß und innig. Sofort muss ich an zuhause denken. Obwohl ich in diesem Moment auf einem Viehsteig knöcheltief in der Scheiße stehe und es keine Sitzgelegenheit gibt, fühlt es sich an und riecht auch so, als säße ich bei meinen Eltern im Garten und meine Mutter käme mit diesem Überraschungsteller zu mir. Am liebsten würde ich dieser fremden Frau um den Hals fallen. Das sieht sie mir wahrscheinlich an. Sie streut Zucker auf den obersten Pfannkuchen, klappt ihn zusammen und hält ihn mir lächelnd entgegen.
Der Mist unter meinen Füßen ist vergessen. Ich nehme nur noch diese Köstlichkeit wahr und genieße sie gierig mit viel zu großen Bissen. Vielleicht liegt es an der Landluft, aber so leckere Pfannkuchen habe ich noch nie gegessen. Ich schätze, ich habe momentan große Kinderaugen. Jedenfalls hält die Fee mir den Teller noch einmal hin.
Der Zucker ist schon drauf und ich greife zu. Den zweiten genieße ich in Ruhe und zwischen den Bissen frage ich, was es damit auf sich hat. Sie verdient sich damit ein paar Euros zusätzlich. Sie macht morgens und nachmittags frische Eierkuchen. Die Pilger erfreuen sich seit langer Zeit daran. Ich gebe ihr zwei Euro und weiß endlich, was mich heute Morgen so angetrieben hat. Wer weiß, ob sie eine halbe Stunde später auch noch welche gehabt hätte.
Nach 600 Höhenmetern auf den letzten neun Kilometern durch tausende Kuhfladen, Hühnermist und Was-weiß-ich-noch-was erreiche ich kurz vor dem Zusammenbruch Triacastela. Ich habe fast vier Stunden für diesen abstrakten Abstieg gebraucht und war nicht die Langsamste. Zwei einzelne Pilgerinnen habe ich, völlig erschöpft am Wegesrand hockend und mit Tränen in den Augen, überholt.
Mitten im Ort steuere ich in Zeitlupe auf ein Café zu - mein Rettungsanker in allerhöchster Not. Am Eingang klebt ein viel zu großes Verbotsschild für Hunde. Das muss mir jetzt egal sein. Ich hab das nicht gesehen. Eine einheimische Damenrunde beim Kaffeekränzchen blickt entsetzt auf Ruddi - als wäre er ein Außerirdischer. Er ist übrigens bei weitem nicht so dreckig wie ich. Mein Hund konnte nämlich der Scheiße ausweichen und über die Weiden und Wiesen laufen.
Ich plumpse auf einen Stuhl, lege Ruddi zügig auf seine Decke. Ich drapiere sie so, dass er zwischen Rucksack und Stuhl kaum zu sehen ist. Die Kellnerin sieht mir an, wie fertig ich bin. Lächelnd bringt sie mir einen Café con leche an den Tisch und geht wieder. Sie hat meinen Hund nicht bemerkt.
Wenige Minuten später geht eine der Damen an der Theke petzen. Entsetzt sucht die eben noch freundliche Señorita mit den Augen nach dem angeklagten Eindringling. Bei ganz genauem Hinsehen entdeckt sie Ruddi natürlich und ruft mir böse zu „No perro!“ und zeigt zur Tür. Ich tue so, als ob sie mich auf etwas Unerhörtes draußen auf der Straße hingewiesen hätte und schaue betroffen und kopfschüttelnd einigen Fußgängern hinterher, die mit Sicherheit keine Ahnung haben, was sie wohl angestellt haben könnten.
Sie fuchtelt mit den Armen und wiederholt sich: „No perro!“ Ich nix verstehen. „No perro!“ „Ah, si, okay, lo siento!“ und drücke mit einem verständnisvollen Blick zum Kaffeekränzchen meine Zigarette aus. „No, señora! No perro!“ und zeigt in Richtung Ruddi. Da der direkt neben meinem Rucksack liegt, fasse ich das mal als Interesse an meinem Tun auf. „Ah, sí, Camino Francés!“ Langsam wird sie geschmeidiger. Ich bemerke, wie sie sich ein bisschen entspannt. Etwas kraftloser wiederholt sie nochmal: „No perro, por favor!“ Oh, wir sind schon beim
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