5 1/2 Wochen
auch noch frei zu sein. Die beiden schwärmen von dieser Unterkunft und ich werde schon wieder verführt, meine Etappe frühzeitig zu beenden. Naja, bis zu meinem Etappenziel mögen es noch zwei Kilometer sein. Aber unter den gegebenen Umständen, ziehen die sich wie Kaugummi. Ich bitte mir Bedenkzeit aus.
Wir sitzen gemütlich zusammen und haben uns eine Menge zu erzählen. Je länger ich mich aufhalte, desto lieber will ich bleiben. Es wäre doch schön, eine Nacht mitten im tiefen Wald zu verbringen.
Nach einer halben Stunde ringe ich mich durch. Ich bestelle mir in Feierlaune noch einen Café con leche und das Doppelzimmer.
Den Kaffee krieg ich, aber das Zimmer...! „Lo siento, no hay camas libres más, señora (tut mir leid, keine freien Betten mehr)!“ Ich könnte heulen, da hab ich wohl ein bisschen zu lange überlegt und ein anderer ist mir zuvorgekommen. Ich krieg mich schnell wieder ein. Ist doch klar, dass auch das einen Sinn haben muss. Wer weiß schon, was da draußen noch auf mich wartet. Die Pause hat mir gut getan. Mit frischer Energie mache ich mich an die letzten zweihunderttausend Zentimeter für heute.
gleicher Tag (insgesamt 660,7 km gelaufen)
Pitín (ca. 50 Einwohner), ca. 600 m üdM, Provinz Lugo
Hostal, Doppelzimmer, 35 € inklusive Frühstück
Schlussendlich krieche ich förmlich in den kleinen Ort Pitín ein. Ich schicke ein Stoßgebet ins Universum, es möge noch ein Zimmer auf mich warten. Nach wenigen Metern werde ich auf ein Schild aufmerksam, dass darauf hinweist, dass es hinter der kleinen Tür etwas zu trinken geben könnte. Beim Betreten erinnert es mich eher an einen Kiosk, als an einen Schankraum. Der Raum ist sehr schmal. Links stehen zwei Metalltische mit je vier zarten Stühlen. Rechts befindet sich eine vollgestellte Theke. Dahinter hängen Regale an der Wand, in denen Zigaretten, Snacks und Süßigkeiten angeboten werden. Seitlich davon wohnt ein Kaffeeautomat mit allen Raffinessen. Der überaus freundliche und herzliche Mann, der zwischen all diesen Dingen steht, erweckt das Gerät für mich zum Leben und serviert mir einen Café con leche, wie ich ihn schon lange nicht bekommen habe: Nicht zu stark, wundervoll cremig, heiß und groß.
Als er Ruddi entdeckt, kommt er vor und ist entzückt von dem kleinen, mittlerweile ziemlich müden Wesen. Streicheleinheiten und Küsschen auf die Stirn lassen Perrito schnell in eine meditative Phase eintreten. Der Señor ist hin und weg. Er sieht das Tupperware-Schüsselchen auf dem Boden stehen und füllt ohne zu Zögern frisches Wasser ein.
Ich frage ihn, wo ich übernachten könnte. Ich bin ganz schön baff, als er ausruft: „Nosotros, por supuesto (bei uns natürlich)!“ Was? Das hier ist ein Hostal? Wo sollen sich denn in diesem kleinen Haus Zimmer befinden? Ich kann es kaum glauben. Aber er wird schon wissen, was er sagt. In diesem Moment betritt seine Frau die Bühne. Er trägt ihr mein Anliegen sofort vor und zaubert ihr ein Lächeln ins Gesicht. Freundlich kommt sie auf mich zu und begrüßt mich spanisch temperamentvoll. Ruddi hebt ein wenig seinen Kopf und zack! Die Stimmung kippt. „No perro, lo siento!“ Ihr Mann kommt hinter der Theke hervorgestürzt und redet außer sich auf sie ein. Sie schüttelt den Kopf. Er bleibt dran, gibt nicht auf, zeigt immer wieder auf uns und hat mitfühlende Blicke und Worte für die erschöpfte Pilger-Hund-Gemeinschaft.
Das Universum hat wie immer seine Finger im Spiel. Nach wenigen Minuten der Spannung stimmt seine Frau zu. Ich darf noch mehr Wunder erleben! Sie geht mit mir durch einen riesengroßen, wunderschönen Comedor. Viele dick gepolsterte Stühle stehen ordentlich an mehreren Tischen, die bereits geschmackvoll eingedeckt und dekoriert wurden. Wir laufen durch die weiträumige, hochmoderne und blitzsaubere Küche, in der schon fleißig gekocht wird. Der köstliche Duft von gebratenem Fleisch macht mir einen Wahnsinns-Appetit.
Jetzt erreichen wir eine Empfangshalle. Hier ist der eigentliche Eingang in das Hostal. Über eine breite Treppe kommen wir auf den Flur, von dem die Zimmer abgehen. Mir steht der Mund offen vor Erstaunen. Es ist kein schnurgerader Flur, sondern ein eher quadratischer Raum mit unerwarteten Nischen in denen kleine gemütliche Sitzgruppen stehen. Dazwischen befinden sich die Türen zu den eigentlichen Hotelzimmern. Große Pflanzen und Blumensträuße, die vor bodentiefen Fenstern stehen, lassen das ganze Ambiente sehr lebendig und warm
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