5 1/2 Wochen
rundum zufrieden nach imponierenden 27,4 Kilometern und mit Schlaf-Nachholbedarf ins Bett. Die ausgesetzten Pilger, die mich über die gesamte Etappe - mal auf dem Weg, mal in den Bars - begleitet haben, waren zwar Energieräuber. Umso bewusster ist mir nach diesem Tag, was mir das „echte“ Pilgern gibt - was ich in den letzten fünf Wochen so beeindruckend fand, dass ich für immer so weiter machen könnte.
Ich darf gespannt sein, was die letzten 85 Kilometer, die noch vor mir liegen, Spannendes für mich bereithalten. Ich lasse mich von den gleichmäßigen Autogeräuschen auf der Hauptstraße unter meinem offenen Fenster in den Schlaf tragen.
Sonntag, 18. Mai 2008
Palas de Rei (4812 Einwohner), 570 m üdM, Provinz Lugo
34. Etappe bis Castañeda, 23,4 km
Ganz schön früh heute! Es ist erst halb sieben. Obwohl das Bett warm und gemütlich ist, zieht mich eine unsichtbare Kraft aus den Kissen. Nach einem guten Frühstück stapfe ich frohgemut los. Den Regenponcho habe ich griffbereit über dem Rucksack liegen. Sollte es anfangen zu regnen, muss ich ihn lediglich noch über den Kopf ziehen. Das funktioniert hervorragend, dauert nur wenige Sekunden - auch wenn es stürmt. Ja, ja! Der Pilger lernt täglich sehr nützliche Dinge hinzu. Der Himmel ist grau, es ist windig und kühl. Ich glaube es selbst kaum, aber das ist mir inzwischen lieber, als wenn es zu heiß ist.
Bereits nach wenigen Kilometern schüttet es wie aus Kübeln. „Hallo! Ihr da oben! So war das nun auch wieder nicht gemeint! Dreht bitte den Hahn wenigstens ein bisschen zurück! Seht Ihr denn nicht, dass ich über Vieh- und Feldwege laufen muss?“ Volle Konzentration ist angesagt: Schuhe schön fest binden, damit sie nicht im Schlamm stecken bleiben. Die großen Steine vorsichtig auf Rutschgefahr überprüfen. Die Pfützen ins Visier nehmen, denn sie könnten tiefer sein, als es scheint. Hinzu kommt, dass es stetig abschüssig und stark ansteigend über Hügel geht.
Durch den starken Wind fühlen sich die Temperaturen fast winterlich an. In Laboreiro trinke ich nicht nur einen heißen Café con leche zum Aufwärmen, sondern zieh mir das dickste Shirt drüber, das ich dabei habe. Seit einiger Zeit rubbel ich Ruddi in den Pausen soweit es geht trocken und decke ihn zu, damit er wieder auf normale Betriebstemperatur kommt.
Bei dem Wetter scheinen die Kurzpilger nicht „on the road“ zu sein. Jedenfalls bin ich relativ alleine unterwegs. Ich will ja nicht meckern, aber die Pfade durch die Wälder gestalten sich zunehmend qualvoll. Nur sehr langsam komme ich voran. Ab und zu überholen mich Radpilger. Nein, nicht in die Pedale tretend! Ich sehe sie ihre Räder schieben. An manchen Stellen müssen sie sogar die Gepäcktaschen runternehmen, getrennt vom Rad über große Strecken tragen, um anschließend ihren eigentlich fahrbaren Untersatz auf der Schulter durch die Matsche zu schleppen. Sie ächzen unter der Last, fluchen ganz böse und sind nicht ansprechbar. Beim Anblick ihres Tuns fühle ich mich, als hätte ich das große Los gezogen.
Der Regen lässt nicht nach, aber nach 15 Kilometern sind die Wege endlich wieder leichter begehbar. Bei schönem Wetter wäre es ganz besonders hier auf diesen verschlungenen Pfaden, die durch eine Reihe gediegener kleiner Weiler führen, märchenhaft. Ich würde mich nicht wundern, wenn ein schöner junger Prinz auf einem stolzen Pferd daher geritten käme, um Dornröschen aus dem Schlaf wach zu küssen.
Mir fallen einige der landestypischen Hórreos (Getreidespeicher) auf. Sie sehen aus wie kleine Kunstwerke. Hórreos haben als Schutz vor Nagetieren Steinplatten auf den hohen Stelzen direkt unter der eigentlichen Kammer. Die Lüftungsöffnungen sind klein genug, um Vögel vom Lagergut fernzuhalten. Sie sind in Galicien oftmals denkmalgeschützt.
Die dichten Wälder bei Melide mit ihren Eichen, Pinien und Eukalyptusbäumen verströmen einen ganz intensiven, wunderbaren Duft. Ich lade gerade mit tiefen Atemzügen meine Batterien auf, als sie schnaubend die malerische Idylle aufmischen. Es wirkt weiterhin wie eine Hetzjagd. Strammen, aber oft unkontrollierten Schrittes, überholen mich einige der 100-Kilometer-Pilger. Ohne ein Wort ziehen sie stolpernd und kopfschüttelnd an mir vorbei. Ich muss aufpassen, dass sie mich auf den schmalen Pfaden nicht umstoßen. Ich komme mir vor, als wäre ich ein lebloses Hindernis, das sie im nächsten Ort dem Förster als Pilger-Stolperfalle melden müssen, damit es aus
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