5 1/2 Wochen
nur ein Schauer ist. Ich lasse meinen Blick in die Ferne schweifen und entdecke weit, sehr weit von uns weg einige schneeweiße Windräder auf einem Berg. Ich sage zu Hermann: „Da oben müssen wir rauf.“ Er fragt entsetzt: „Bist Du Dir sicher? Das ist viel zu weit! Es ist doch schon Nachmittag. Da kommen wir heute gar nicht mehr hin!“ Obwohl ich mir sicher bin und sogar weiß, dass es noch gute neun Kilometer bis oben sind - danach natürlich X-Kilometer wieder runter - antworte ich: „Vielleicht vertue ich mich ja auch! Wir werden sehen, wohin der Weg uns führt.“ Ich will ihm die gute Laune so lange wie möglich erhalten.
Wir gehen nun über einen Forstweg durch kurze Waldstücke und Felder. Bei Sonnenschein könnte man dieses Stück Weg mit Sicherheit sehr genießen. Durch den ständigen Regen in den letzten Tagen allerdings ist er unbegehbar. Wir entscheiden uns, am Feldrand entlang zu gehen. Wir bemerken nicht, dass irgendwann ein Graben das Feld vom Weg trennt. Durch diesen Graben fließt ein Bach, der zu tief ist, um durchzulaufen. Rüber springen geht auch nicht, mit dem Rucksack auf dem Rücken. Wie Tiere in der Falle laufen wir mit kurzen Schritten hin und her und weigern uns, den hart erkämpften Weg durch das nasse Feld wieder zurückzugehen. Wir sind doch beide froh, ohne auf die Nase zu fallen, so weit gekommen zu sein.
Dann entdecke ich einen riesigen Ast, den jemand als Steg über diesen Graben gelegt hat und traue mich nach kurzer Überlegung, darüber zu gehen. Wäre der Ast gebrochen, hätte ich das sicher überlebt, aber ich hätte mir bestimmt „den Poncho versaut“. Hermann und Ruddi gucken mich an wie das Christkind, als sie mich auf der anderen Seite des Grabens entlang gehen sehen. „Das kommt davon, wenn ihr nicht auf mein Rufen reagiert. Schwimm doch!“ Wir müssen lachen, bei der Vorstellung mit einem Rucksack auf dem Rücken durch einen „Fluss“ zu schwimmen. Ich bin ja gar nicht so und zeige den beiden, wie ich an das rettende Ufer gelangt bin. Ruddi muss lange überlegen, ob er wirklich auf dem Ast balancieren möchte und kann. Aber nach mehreren Versuchen und Rückziehern wagt er es im Eiltempo und kommt stolz auf meiner Seite an. Dafür gibt es ein „fettes“ Leckerchen. Hermann macht es dem Hund nach - obwohl er keine Belohnung erwarten kann. Er tritt mehrmals skeptisch auf dem Ast rum bevor er es wirklich wagt, ihm sein ganzes Gewicht anzuvertrauen. Ich mache mir Sorgen, dass die handgearbeitete Brücke seinem Misstrauen nicht gewachsen ist und feure ihn an: „Ich rette Dich, wenn Du abstürzt! Komm schon! Trau Dich!“ Nach einer Weile bewältigt er den „gefährlichen Abgrund“ mit einem oder zwei beherzten Schritten. Wir sind eben die Helden des Caminos Francés.
Einige hundert Meter weiter stehen am Wegesrand niedrige Bäume und Sträucher. Hermann geht vor mir, und ich nehme die alte Hunde- Tasche mit dem blauen Müllsack-Regenschutz wahr, die er über die Schulter gehängt hat. Plötzlich kommt mir die Idee, die Tasche hier an einen Baum zu hängen. Ich brauche sie sowieso nie mehr. Ich habe jetzt eine viel schönere und bequemere für mein Hundekind. Ich stelle mir vor wie hier irgendwann mal ein verzweifelter Pilger mit einem kleinen Hund vorbeikommt und diese fast wasserdichte Hundehütte dringend braucht. Dieser Gedanke macht mich richtig zufrieden, und so trenne ich mich leichten Herzens von dem heruntergekommenen, aber sehr nützlichen Ding.
Dann beginnt der Anstieg zum Alto del Perdón. Die Beschaffenheit des Wegs ist sehr angenehm, breit und trocken. Es regnet jetzt nicht mehr, dafür hat der Wind Orkanstärke. Ich habe Angst, dass Ruddi fliegen geht und leine ihn an. Das ist ganz schön anstrengend, bergauf und gleichzeitig gegen einen Orkan anzulaufen. Wir treffen ein Pärchen und wechseln ein paar Worte mit ihnen. Es sind keine Pilger, sondern Einheimische. Sie warnen uns: „Nach ungefähr sechs Kilometern wird der Aufstieg heftig, steil, steinig und schmal. Das ist kein Spaziergang!“ Es ist bereits 17 Uhr und wir haben nach dem Aufstieg noch vier Kilometer Abstieg vor uns, der so steil ist, dass im Wanderführer davor gewarnt wird. Immer locker bleiben, lautet die Devise.
Ich wünsche mir eine Bar herbei, um ein bisschen auszuruhen. Die gibt es aber erst wieder in Uterga, am Etappenziel. Zu unserer Freude steht eine Bank am Wegesrand. Trotz des Orkans lassen wir uns häuslich nieder und Hermann zaubert wieder Brot und Wurst aus
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