5 1/2 Wochen
ich gut nachvollziehen. Es lohnt sich wirklich in die Ferne zu schauen, aber meine Blase ist mittlerweile so überfüllt, dass ich in Bewegung bleiben muss.
Ich gehe einfach an ihm vorbei und sage: „Guck Du nur die Landschaft an. Ich geh schon mal langsam vor. Du holst mich eh wieder ein.“ Er geht mit mir und fragt nach, was ich denn bloß hätte, welche Laus mir über die Leber gelaufen sei. Ich sage, dass mir die Laus über die Blase läuft und ich nur hoffen kann, dass wir bald da sind. Dieses Dilemma schaut er sich noch ungefähr zwanzig Minuten mit an, dann bleibt er auf einer kleinen Brücke mitten in den Feldern stehen, setzt sich auf das kniehohe Geländer aus Stein, nimmt mir den Rucksack vom Rücken und schickt mich in die Büsche: „Ich kann das nicht mehr mit ansehen. Lass gehen! Ich warte hier auf Dich.“ Ich überlege nicht mehr lange und tu wie mir befohlen. Keine Ahnung, warum ich so lange damit gewartet habe — wahrscheinlich, weil ich mit einem Mann unterwegs bin. „So was macht eine Dame nicht!
Glücklich und erleichtert komme ich aus dem Busch gekrabbelt. Mit dem Muskelkater und den inzwischen fast 20 Kilometern in den Beinen, war das eine richtige Aktion, bei der jede Bewegung wohl durchdacht sein musste - bei Unachtsamkeit hätte ich mich womöglich in den Dreck gelegt und diesmal nicht den Poncho, sondern den nackten Hintern versaut.
Gleicher Tag (insgesamt 84 km gelaufen)
Uterga (158 Einwohner), 493 m üdM
Priv. Herberge m. Doppelzimmern, 20 Euro/Pers. ohne Frühstück
Kurz nach 21 Uhr erreichen wir Uterga und der erste Gasthof gehört uns. Es ist eine private Herberge, die von außen aussieht wie eine gemütliche Pension. An der Eingangstür springt mir das No- perro-Schild ins Auge. Na gut! Meinen Poncho habe ich noch an und Ruddi ist blitzschnell darunter verschwunden. Mit dem Hund vor meiner Brust, sehe ich aus, als wäre ich eine Matrone. Die Leute, die hier sitzen, gucken mich etwas befremdet an. Die fragen sich bestimmt: „Wie ist denn die dicke Frau bloß über den Berg gekommen?“ Die Blicke ignorierend gehe ich zielstrebig an die Theke und frage: „Tiene una habitación doble libre? (Haben Sie ein freies Doppelzimmer?)“ Der „guten alten Schule“ nach müsste Hermann diese Frage stellen, aber der spricht überhaupt kein Spanisch. Also muss ich mit meinen „Brocken“ ran. Die Señora hat noch ein Zimmer frei und gibt uns zu verstehen, dass, wenn wir noch etwas zu essen haben wollten, wir das sofort machen müssten, weil die Küche in ein paar Minuten schließt. Super! Und jetzt? Mit Ruddi unterm Poncho kann ich ja wohl nicht essen. Das würde auffallen. Also bestellen wir schon mal und lassen uns flugs das Zimmer zeigen.
Es müsste verboten sein, Pilger unterm Dach auf der dritten Etage unterzubringen. Zumindest wenn es keinen Aufzug gibt. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, die Treppen hochzugehen. Wahrscheinlich war es mein Hund unterm Poncho, der mich angefeuert hat. Die Herbergsmutter hat nichts gemerkt. Gott sei Dank. Der nächste Ort wäre fast drei Kilometer weit weg. Ganz davon abgesehen, dass mein Körper streiken würde, käme ich dort viel zu spät an, um noch ein Zimmer anzumieten.
Ruddi ist wie gewohnt mucksmäuschenstill und regungslos unter meinem Poncho bis wir alleine sind. Dieser Hund ist ne Wucht! Die Wirtin verschwindet auch ganz schnell wieder aus unserer schnuckeligen, sehr kleinen, aber gemütlichen Unterkunft und bittet uns eindringlich, so schnell wie möglich runterzukommen, damit das Mittagessen serviert werden kann. Zackig packe ich Ruddi’s nagelneue Tasche aus dem Rucksack, lege seine Decke hinein und schwupp - liegt er auch schon drin. Ich glaube, er hat sich seit Pamplona darauf gefreut.
Wir ziehen die dreckigen Schuhe aus und quälen uns Stufe für Stufe die Treppe wieder runter. Unsere Knie wollen sich nur noch minimal beugen. Wenn man es positiv ausdrücken möchte, kann man als Zuschauer den Eindruck gewinnen, es kämen unbewegliche Muskelprotze hier herunter gestiegen. Bei jedem Schritt abwärts schwankt der Oberkörper extrem weit nach links oder rechts und der Fußwechsel erfolgt mit einem winzig kleinen beherzten Hüpfer. Auch wenn’s wehtut, aber ohne Essen würden wir beide die Nacht nicht überleben.
Ein Mann und eine Frau halten sich noch in der Bar auf. Sie sind deutsche Pilger. Wir setzen uns an den Tisch neben ihnen und dann stellen sie die böse Frage: „Warst Du nicht eben mit einem Hund unterwegs?
Weitere Kostenlose Bücher