5 1/2 Wochen
seinem Rucksack. Jetzt merke ich erst, wie fertig ich wirklich bin. Nach kurzer Zeit machen wir uns an den Aufstieg. Das ist wirklich heftig. Hermann muss alle paar Meter stoppen, um Luft zu holen. Ich habe auf dem Camino gelernt, dass das Bergaufgehen viel leichter funktioniert, wenn ich betont langsam ganz kleine Schritte mache. Mein Begleiter tut das wahrscheinlich nicht. Denn ich bleibe nicht stehen, gehe meinen Rhythmus und trotzdem holt er mich immer wieder ein.
Wir konzentrieren uns bei jedem Schritt. Es ist ein sehr schmaler Weg und es liegen große, lose Steine in Massen rum. Dazu kommt der Sturm, der einen auch schon mal ein Stückchen zur Seite schubst. In dieser wilden Szenerie kommt uns ein Jogger entgegen. Er läuft und springt diesen Berg hinunter. Ich frage mich, wie der das macht und wünsche ihm, dass er heil unten ankommt. Das muss ein Hochleistungssportler gewesen sein. Kein normaler Mensch kann hier so runter laufen.
Die Aussicht ist spektakulär. Man schaut auf weite hügelige Felder, die durch den starken Wind aussehen, als ob sie Wellen schlagen. In der Ferne erkennt man noch Pamplona und etwas näher kleine Dörfchen. Der Jakobsweg, der hier schneeweiß ist, schlängelt sich durch diese saftig grüne Landschaft. Wolkengebilde, wie ich sie vorher noch nicht gesehen habe, lassen diesen Schauplatz dramatisch erscheinen.
An der Fuente de Reniega (Quelle des Ableugnens) machen wir noch eine kurze Pause. Wir sind stolz darauf, das uns selbst Auferlegte so tapfer durchzuziehen. Es ist gleich 19 Uhr. Wir sind sehr gespannt wann - und vor allem wie - wir in Uterga ankommen werden. Wir haben übrigens wieder keine anderen Pilger in Sichtweite.
Gerade als wir denken wir kämen nie da oben an, haben wir den Gipfel des 735 Meter hohen Alto del Perdón erreicht. Hier steht ein Denkmal, das einen Pilgerzug darstellt. Ich kenne es aus dem Fernsehen und werde ganz andächtig, weil ich jetzt selbst hier oben stehe. Es ist viel weniger Platz auf diesem Bergkamm als ich dachte.
Kaum am Denkmal vorbeigegangen, überqueren wir eine Landstraße und dann geht es auch schon wieder bergab. Der Pilger wird sogar durch Schilder vor dem steilen Abstieg gewarnt. Vor ein paar Minuten hat mir noch ein Spanier gesagt, ich solle diesen Abwärtsweg unbedingt sehr langsam gehen. In dem Moment, in dem wir losgehen wollen, fängt es wieder heftig an zu regnen. An dieser Stelle treffen wir zur Abwechslung auch mal ein paar andere Pilger. Die müssen aber die Landstraße gegangen sein. Beim Aufstieg waren wir alleine. Vielleicht sind sie per Bus oder Taxi hochgekommen. Soll uns aber egal sein. Sie interessieren sich dafür wie es ist, mit Hund in Spanien unterwegs zu sein und ich gebe bereitwillig Auskunft. Sie staunen nicht schlecht über die Kondition eines so kleinen Kerlchens.
Als ich Ruddi unter meinem Poncho in sein Netz setze, damit der Arme nicht noch fünf Kilometer vor dem Etappenziel nass wird, amüsieren sich die Leute und finden die Lösungsidee spitze. Es ist kalt und immer noch stürmisch. Bei jedem Schritt sprechen meine Beine mit mir: „Geh bloß nicht schneller, sonst können wir Dich nicht halten.“ Es ist deutlich mehr als spannend, hier herabzusteigen. Ich rede Ruddi und mir selbst beruhigend zu: „Hab keine Angst. Ich bin ganz vorsichtig, egal wie lange es dauert. Ich verspreche Dir, jeden Schritt abzusichern. Wir schaffen das!“ Allmählich mäßigt sich der Weg, es geht etwas sanfter auf Feldwegen weiter bergab bis auf 490 Meter über dem Meeresspiegel. Das sind immerhin 245 Höhenmeter auf 3,6 Kilometern. Die ziehen sich allerdings wie Kaugummi. Wir haben mal wieder das Gefühl diese Etappe nähme kein Ende. Seit Stunden schon muss ich Pippi. Aber ich bin von Hause aus kein „Naturbursche“, der sich einfach mal mitten in die Pampa setzt - bei Orkan schon dreimal nicht.
Wie immer werden wir albern, wenn das Ziel näher kommt. Ich kann leider nicht mehr herzhaft lachen, wenn Hermann wieder einen seiner Sprüche reißt. Das würde gnadenlos in die Hose gehen. Er weiß nichts von meinem Toiletten-Problem und macht sich bestimmt Gedanken darüber, wo ich meinen Humor verloren haben könnte. Ich mag nicht drüber sprechen. Das ist mir peinlich. Ich konzentriere mich und schaffe das schon bis Uterga.
Eine halbe Stunde später schleppen wir uns nur noch so den Feldweg entlang. Es regnet zwar immer noch, aber nicht mehr so heftig. Hermann bleibt ab und zu stehen, um die Landschaft zu bewundern. Kann
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