5 1/2 Wochen
das Urteil für einen nicht angemeldeten Hund ausfällt. Es lautet: „Buen camino, señora!“ Mir fällt ein Stein vom Herzen. Entweder hat sie Ruddi nicht wahrgenommen oder es ist ihr egal, dass er in ihrem Haus übernachtet hat. Mit einem gut gelaunten „Gracias por todo y adiós“ biegen wir um die nächste Ecke.
Am Ortsausgang treffe ich auf Sabrina. Besorgt frage ich nach Edit, Achim und Oliver. „Ich will heute mal alleine laufen. Den anderen geht es gut. Alles okay. Außer bei Ina. Sie hat wohl in den letzten Tagen zu wenig getrunken, Kreislaufprobleme und fürchterliche Kopfschmerzen. Der Herbergsvater hat ihr angeboten eine weitere Nacht zu bleiben, damit sie sich erholen kann. Sie nimmt dieses Angebot an, bleibt heute im Bett und geht morgen erst weiter.“ teilt sie mir mit. Diese Nachricht wirft mich aus der Bahn. Gebietet es der Anstand, nach ihr zu sehen, ihr beizustehen? Ich bin auf dem Jakobsweg. Wenn ich jetzt zurückgehe, schaffe ich meine Etappe nicht. Ich kämpfe mit meinem Gewissen, entschließe mich aber auf „meinem Weg“ zu bleiben. Ich sende Ina Gedanken der schnellen Besserung und von Herzen alles Gute. „Jeder hat sein Tempo auf dem Camino“. Es wird für sie einen besonderen Sinn haben, heute noch in Navarrete bleiben zu müssen. Ich möchte weitergehen. Bin ich nicht hier unterwegs, um nach meinem Wohlbefinden zu schauen?
Ich lasse Sabrina einen kleinen Vorsprung. Wir wollen beide heute alleine laufen. Das erste Stück des Weges führt an der Nationalstraße entlang. Nach weniger als einem Kilometer erreiche ich einen kleinen Friedhof. An dieser Stelle ist fraglich, ob es weiter geradeaus oder links in einen Feldweg geht. Mein Wanderführer gibt mir ebenfalls keine klare Ansage. Sabrina ist links abgebogen. Sie ist bereits zu weit weg, um sie zurückzupfeifen - ich kann auch gar nicht pfeifen. Geht sie auf dem richtigen Weg? Mein Gefühl sagt: „Nein!“ Ich bin unentschlossen. Es ist kein anderer Pilger in Sicht. Innere Stimme oder Herdentrieb? Nach einigen Minuten „warten auf eine Eingebung oder ähnliches“, nehme ich den gleichen Weg wie Sabrina. Mal sehen was passiert.
Über eine große Strecke finde ich keine typischen Camino-Hinweise. Unsicher halte ich immer wieder Ausschau nach anderen Peregrinos. Tatsächlich entdecke ich weit von mir entfernt auf einem Parallelweg den einen oder anderen fröhlich wippenden Rucksack. Und jetzt? Ich habe keine Lust zurückzulaufen. Beherzt wähle ich ein besonders schönes Feld aus, um es zu durchqueren. Hoffentlich werde ich nicht von einem Bauern erwischt oder gar von seinem Hund verjagt. Es sind viel größere Felder hier in Spanien, als ich das von zu Hause kenne. Ruddi findet es toll, vom Weg abzukommen und springt abenteuerlustig durch die Gräser. Es dauert eine Weile bis ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Es war anstrengend über den aufgelockerten, steinigen Acker zu stolpern. Wieder auf einem normalen Weg, fühle ich mich „zuhause“ und entdecke sofort die Fußspuren, wie sie nur Pilger hinterlassen. Sehr bald erscheinen die unentbehrlichen und beruhigenden gelben Pfeile auf dem angenehmen Pfad. Da sonst niemand in der Nähe ist, klopfe ich mir selbst auf die Schulter für meine - wenn auch verspätete - weise Entscheidung und genieße die weite Landschaft.
Es gefällt mir sehr, alleine unterwegs zu sein. Der Rhythmus stimmt. Ich habe das Gefühl, zu tanzen. Ist es ein Wunder? Nein! So habe ich doch meinen Tag begonnen. Es ist alles so leicht. Meinen Rucksack nehme ich immer weniger wahr, obwohl der durch die nasse Wäsche schwerer ist als sonst. Nach zwei Stunden sind die Wäschestücke, die hinter mir her wehen, trocken. Prima! Dann können die jetzt Platz für die nächsten Teile machen und wieder in ihren Beutel einziehen. Meine Füße sind besser gelaunt, als in den letzten Tagen. Allerdings knallt die Sonne gnadenlos vom Himmel. Ich creme immer wieder mein Gesicht ein, damit mir die Nase nicht komplett verkohlt. Nach acht Kilometern erreichen wir Ventosa.
Ich laufe schnurstracks in die erste Bar und genieße den redlich verdienten Café con leche. Ruddi und ich machen eine ausgedehnte Pause. Glücklich und zufrieden gucke ich aus dem Fenster. Der Sonnenschein aus dem wolkenlosen Himmel verzaubert die Landschaft. Alles sieht so freundlich aus. Jedoch ist es eine Herausforderung für unser beider Kreislauf, in der Mittagshitze zu laufen. Wir haben uns zwar den Temperaturen angepasst und gehen
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