5 1/2 Wochen
schön langsam, aber Ruddi ist überglücklich, in einer kühlen Bar auf den Fliesen liegen zu dürfen.
Hinter Ventosa wird der Weg anstrengender. Der Boden in Nordspanien ist fast überall steinig. Eine Zeitlang habe ich ja geglaubt, die Wege würden von Zeit zu Zeit von Menschenhand präpariert, damit wir Pilger abends auch wissen, was wir getan haben. Aber ich weiß schon seit ein paar Tagen, dass hier alles - ob Matsch, Schnee, Wurzeln, Schotter, Kieselsteine, Felsbrocken, Sonne, Regen und Wind - von der Natur so vorgesehen ist.
Es folgt nun ein relativ langes Wegstück, das ganz besonders viele Steine aufweist. Die meisten Wallfahrer errichten kleine und große Figuren aus ihnen. Viele gingen sicher als Kunstwerk durch. Das ist wunderschön anzusehen. Jedes einzelne Steinmännchen symbolisiert die Gedanken und Gefühle der Person, die es gebaut hat. Vor lauter Begeisterung vergesse ich, zu fotografieren.
Mein Hund ist plötzlich ganz aufgeregt und läuft bellend an mir vorbei. Ich drehe mich um und sehe wie er sich mit einem Artgenossen unterhält. Die beiden beschnuppern sich ausgiebig, sind sich sympathisch und beschließen, ein bisschen zusammen zu gehen - ohne mich zu fragen. Na ja, ich will mal nicht so sein. Es macht mir Freude, die zwei so einträchtig nebeneinander herlaufen zu sehen.
Es geht weiter durch Weingärten, breite Täler und sanfte Berge. Dahinter, in der Feme sehe ich schon eine ganze Weile schneebedeckte Gipfel. Bis Nájera sind es gute zehn Kilometer ohne eine Versorgungsmöglichkeit. Es gibt keinen Schatten. Ich muss an Ina denken. Jetzt weiß ich, warum sie heute nicht laufen soll. Das hätte ihr Kreislauf nicht mitgemacht! Mir fällt ein, dass sie flachliegt, weil sie zu wenig getrunken hat und setze mir erst mal die Wasserflasche an den Hals und Ruddi‘s Wasserschale auf den Boden. Das tut verdammt gut und ist das wichtigste, das ich regelmäßig zu tun habe.
Ein paar hundert Meter weiter gesellt sich ein dritter Hund dazu. Er ist wesentlich größer, als „meine beiden“ und total lieb. Er hat sogar den Anstand, sich mir vorzustellen. Von nun an sind wir zu viert. Die Jungs können ihr Tempo selbst bestimmen. Ich laufe ihnen in meinem hinterher. Der Große ist der Anführer. Er zeigt den Kleinen, wo es was zu schnuppem und zu markieren gibt. Vorbeiziehende Pilger fragen mich erstaunt, wie es funktioniert, mit drei Hunden den Camino zu laufen. Sie sind durchweg beruhigt, als sie erfahren, dass mir nur der Kleinste gehört.
Nach ungefähr einem Kilometer verlässt der erste Hund uns wieder. Auf einmal ist er nicht mehr da. So leise wie er gekommen ist, verschwindet er auch. Ich glaube allerdings, dass er Ruddi „Tschüss“ gesagt hat. Der selbsternannte Anführer hingegen macht den Eindruck auf mich, als wäre es seine Aufgabe, auf uns aufzupassen. Er ist sehr umsichtig. Manchmal versteckt er sich, um dann doch wieder aufzutauchen. Er hat Ruddi und mich ständig im Auge. Wenn ich Pause mache, wartet dieser wunderschöne und gepflegte Hund auf uns. Ich möchte gerne wissen, was dem so durch den Kopf geht. Mindestens sieben oder acht Kilometer begleitet er uns. Ein paar Mal denke ich: „Jetzt ist er wieder zurückgelaufen.“ Und dann taucht er doch nochmal auf. Bin ein bisschen traurig, als ich feststelle, dass er uns endgültig verlassen hat.
Die heutige Etappe lässt mich so richtig zur Ruhe kommen. Zwischen den Orten liegen viele Kilometer und ich genieße die Einsamkeit. Mitten in dieser gottverlassenen Gegend tauchen - vollkommen fehl am Platze - zwei braune Ledersessel auf und ich fürchte mal wieder, Halluzinationen zu haben. Ich muss lachen und frage mich, wer die dahin gebracht. Das war doch bestimmt ein Pilger-Liebhaber! Einer, der aus lauter Mitgefühl hier an dieser Stelle ein kleines Wohnzimmer für die erschöpften Wanderer bauen wollte. Mir fällt ein, dass ich diese Sitzmöbel auch schon mal im Fernsehen gesehen habe. Die stehen also schon sehr lange hier. Ob sich manchmal jemand darauf setzt? Ich bin davon überzeugt.
Ich kann es nun kaum noch erwarten, in Nájera anzukommen. Die Hitze schafft mich, ich brauche dringend ein kühles Plätzchen und ein kaltes Getränk. Das Wasser, das ich bei mir trage, hat ungefähr 35 Grad. Die zehn Kilometer bewältige ich unerwartet schnell. Trotz des vermeintlich langsamen Gehens erreiche ich den Ort bereits um halb fünf. Von hier aus sind es noch fast sechs Kilometer bis Azofra.
Nájera ist mit über 7000
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