5 1/2 Wochen
für unterwegs. Der Verkäufer erkennt mich wieder und lächelt mich freundlich an. Wenn der wüsste, in welcher Aufregung ich gestern war... Er wünscht mir einen „buen camino“.
Ich bin begeistert von mir und dem Weg. Die Steigungen gehen mir immer leichter von den Füßen. Ruddi darf ohne Leine laufen. Die Nationalstraße ist weit genug weg. Bis der höchste Punkt des Alto de la Pedraja erreicht ist, sind es schätzungsweise vier oder fünf Kilometer.
An der Fuente de Mojapán treffe ich nach einer guten Stunde Laufzeit den ersten Pilger an diesem Tag. Es ist ein Mann so um die 60. Mir fällt auf, dass er nur einen winzigen Rucksack auf dem Rücken trägt. Nachdem wir uns ein bisschen darüber unterhalten haben, wer wir sind und wo wir herkommen, setzen wir gemeinsam den Aufstieg fort. Nach einer Weile spreche ich ihn auf sein spärliches Gepäck an. Er erzählt mir, dass seine Frau mit dem Wohnmobil die Etappen abfährt. Sie mag nicht laufen, wollte ihren Mann aber auch nicht so lange alleine lassen. Die beiden haben eine ganz außergewöhnliche Methode des Pilgerns entwickelt. Sie fährt immer vor zum Etappenziel, das sie sich beim, von ihr liebevoll hergerichteten Frühstück, ausgesucht haben. Dann kundschaftet sie einen schönen Platz aus, an dem sie über Nacht mit dem Wohnmobil stehen dürfen, geht einkaufen und kocht höchstpersönlich ein leckeres Pilgermenü für ihren Mann. Natürlich kümmert sie sich auch um die Wäsche. Beneidenswert! Die oberste Pflicht eines „normalen“ Pilgers liegt darin, nach Erreichen der Unterkunft zu allererst die getragene Wäsche - meist auf der Hand - zu waschen und zum Trocknen hinzuhängen, damit sie am nächsten Morgen wieder in ihren Beutel einziehen kann. Dieser nette Mann genießt den Luxus, tatsächlich einfach nur zu laufen und sich nachts in seinem eigenen Bett erholen zu dürfen. Um alles andere kümmert sich seine liebende fürsorgliche Ehefrau. Toll!
Für mich allerdings ist alles perfekt, so wie es gerade ist. Der Jakobsweg darf durchaus ein paar Ecken und Kanten haben. Gerade die Widrigkeiten auf diesem Weg schenken mir das überwältigende Gefühl, das sich einstellt, wenn alles glatt läuft. Das gehört meiner Meinung nach unbedingt dazu. Ich habe schon mit einigen Pilgern gesprochen, die sich nicht vorstellen können, in einer Pension oder einem Hotel zu übernachten, so wie ich es mache. Für sie gehört die Erfahrung in den Herbergen zwingend dazu. Das zeigt mal wieder deutlich, dass jeder „seinen ureigenen Camino“ geht, und die Möglichkeiten sind grenzenlos.
Meine neue Pilger-Bekanntschaft ist sehr sympathisch und so laufen wir bestimmt zwei Stunden gemeinsam. Danach genießt wieder jeder sein ihm eigenes Tempo. Er ist natürlich mit dem leichten Gepäck deutlich schneller unterwegs als ich.
Das Wetter ist ideal: bewölkt, trocken, kaum Wind, angenehme Temperatur. Ruddi und ich bezwingen souverän die Montes de Oca. Im Wald kommen wir auf ein Teilstück des Jakobswegs, das aussieht, als wäre hier eine Autobahn geplant. Dieser Weg ist planiert und unglaublich breit, eben wie eine 4-spurige Autobahn und es geht
immer schnurgeradeaus mit ganz leichten Hügeln. Zunächst finde ich das toll, aber nach einer Weile werde ich das Gefühl nicht los, das in diesem Gebiet einmal etwas Schlimmes passiert ist. Von alleine entsteht mitten in der Natur so eine breite und endlos lange Schneise nicht. Bei genauerem Hinsehen gibt es Anzeichen dafür, dass es hier einen Waldbrand gegeben haben könnte. Ich fühle mich schlecht und wünsche mir das Ende dieses Szenarios herbei. Ich muss mich aber noch eine ganze Weile gedulden bis der Spuk vorbei ist.
Endlich liegt ein wunderschöner, sich sanft schlängelnder Pfad durch einen dichten Wald vor mir. Ein paar Mal treffe ich auf Holzfäller, die damit beschäftigt sind, die vorbereiteten Baumstämme auf ihre Traktoren-Anhänger zu laden. Sie winken mir gut gelaunt zu. Ich liebe und genieße es jedes Mal, glückliche, zufriedene Menschen zu sehen. Das haben die Spanier echt gut drauf. Egal ob sie bei der Arbeit sind oder gemütlich vor ihrer Haustür sitzen, sie strahlen zu 99 Prozent sorgenfreie Gelassenheit aus. Hier auf dem Camino Francés verstehen sie es, das Leben zu nehmen wie es kommt. Egal, wie groß der Stress zum Beispiel in einer Bar, Pension oder Herberge, wie schwer die Feld- und Waldarbeit auch sein mag, sie lassen sich niemals aus der Ruhe bringen oder die gute Laune vermiesen. Die gleiche
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