5 Auch Geister können sich verlieben
ein erwachsener Mensch meistern.«
Ich murmelte etwas, was selbst für mich völlig unverständlich war.
»Sie schaffen das schon, da bin ich mir sicher«, fuhr Pater Dom fort. »Sie haben doch bisher alles im Leben geschafft. Und zwar auf… na ja, vielleicht nicht
gerade elegante, aber souveräne Art. Und jetzt sollten Sie lieber gehen. Die erste Stunde ist fast um.«
Aber ich ging nicht. Ich saß da und stieß von Zeit zu Zeit einen jämmerlichen Seufzer aus, während mir die Tränen über die Wangen flossen. Ein Glück, dass ich wenigstens wasserfeste Wimperntusche aufgetragen hatte.
Statt mich zu bemitleiden, wie ein Mann seiner Profession es doch eigentlich sollte, sah Pater Dominic mich argwöhnisch an. »Susannah, ich hoffe, ich muss nicht … also, ich muss Sie hoffentlich nicht daran erinnern, was wir einmal besprochen haben. Sie sind ein sehr eigenwilliges Mädchen, und ich hoffe, Sie wenden ihre … femininen Reize nicht auf Jesse an. Das habe ich damals schon ernst gemeint, und das ist jetzt immer noch so. Wenn Sie sich die Augen ausheulen müssen, dann tun Sie das hier in meinem Büro. Aber nicht vor Jesse. Machen Sie ihm die Sache nicht noch schwerer als ohnehin schon. Haben Sie mich verstanden?«
Ich stampfte mit dem Fuß auf, bereute es aber sofort wieder, weil mir der Schmerz bis in die Hüfte hochschoss.
»Herrgott!«, herrschte ich Pater Dom wenig feminin an. »Wofür halten Sie mich eigentlich? Meinen Sie, ich schmeiß mich vor ihm in den Staub und flehe ihn an, mich nicht zu verlassen? Wenn er gehen
will, bitteschön. Ist mir nur recht. Ich bin sogar froh, wenn er weg ist!« Dann verzerrte ein verräterisches Schluchzen meine Stimme. »Aber eines will ich schon noch loswerden: Das ist alles nicht fair !«
»Im Leben ist selten etwas fair, Susannah«, sagte Pater Dominic mitfühlend. »Aber ich muss Sie doch sicher nicht daran erinnern, dass Sie es im Leben sehr viel besser erwischt haben als die meisten Leute. Sie sind vom Glück geküsst, liebes Kind.«
»Na klar, vom Glück und einem hundertfünfzig Jahre alten Geist.« Ich lachte bitter auf.
Pater Dom sah mich an. »Ihnen scheint es ja schon besser zu gehen. Also bitte, Sie müssen jetzt wirklich los. Ich muss noch viel für das morgige Fest vorbereiten …«
Ich dachte an all die Sachen, die ich ihm noch nicht gesagt hatte. Über Craig und Neil Jankow, und vor allem über Paul und Dr. Slaski und die Wechsler …
Zumindest das mit Paul hätte ich ihm sagen sollen. Dass der behauptet hatte, er wolle bloß ganz neu anfangen. Aber andererseits … Paul führte eindeutig was Übles im Schilde, meine schmerzenden Füße waren dafür der beste Beweis.
Aber ich war zugegebenermaßen etwas sauer auf Pater Dominic. Ein bisschen mehr Mitgefühl hätte man von ihm doch wirklich erwarten können. Immerhin hatte er mir gerade das Herz gebrochen, sozusagen.
Oder schlimmer noch: Er hatte mir in Jesses Namen das Herz gebrochen. Jesse hatte nicht mal den Mumm, mir selber ins Gesicht zu sagen, dass er mich nicht liebte. Nein, er brauchte einen »Beichtvater«, der das für ihn übernahm. Super. Da tat es mir gleich doppelt leid, dass ich nicht anno 1850 gelebt hatte. Muss ja ein hübsches Leben gewesen sein – jeder konnte tun und lassen, was er wollte, er konnte ja jederzeit einen Priester vorschieben, der die Drecksarbeit für ihn erledigte.
So richtig gehen , wie Pater Dominic vorgeschlagen hatte, konnte ich mit meinen Füßen immer noch nicht. Vielmehr humpelte ich mühsam und voller Selbstmitleid aus seinem Büro. Ich weinte auch immer noch, was dazu führte, dass Pater Doms Sekretärin bei meinem Anblick in mütterliche Besorgnis verfiel. »Ach, Schätzchen, so schlimm? Hier, ein Taschentuch.« Das war irgendwie viel tröstlicher als alles, was Pater Dominic in der letzten halben Stunde getan hatte.
Ich nahm das Taschentuch, putzte mir die Nase und packte dann noch ein paar weitere Tücher für unterwegs ein. Bestimmt würde sich das Geheule noch mindestens bis zur dritten Stunde hinziehen.
Als ich durch den Säulengang entlang des Innenhofs humpelte, arbeitete ich aber schon fleißig daran, mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Okay, der Typ war also nicht in mich verliebt. Das hatte ich
in der Vergangenheit schon bei etlichen anderen Kerlen erlebt – und trotzdem hatte mich das nicht so umgehauen. Klar, es ging hier um Jesse, den Menschen, den ich am allermeisten auf der Welt liebte. Aber hey, wenn er mich nicht haben wollte, auch
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