5. Die Rinucci Brüder: In Neapel verlor ich mein Herz
Schritt getan hatte.
Doch alles, was er ihr geben konnte, war Freundschaft, mehr nicht. Er war unerreichbar für sie, deshalb wäre es dumm und unvernünftig, zu viel in seine Küsse und seine Umarmung
hineinzuinterpretieren. Es fiel ihr jedoch schwer, vernünftig zu sein, denn sie begehrte ihn viel zu sehr und spürte, dass sie schwach wurde. Sie war bereit, jede Vorsicht außer Acht zu lassen und ihm zu sagen, dass sie mit ihm schlafen wollte.
Und dann würde ich vor Scham am liebsten in den Erdboden versinken, schoss es ihr durch Kopf. Das brachte sie zur Besinnung. Sie versuchte, Ruggiero von sich zu stoßen. „Es ist alles wieder in Ordnung, wirklich“, behauptete sie.
Mit gerunzelter Stirn sah er sie aufmerksam an. „Ich habe eher das Gefühl, du bist bis ins Innerste aufgewühlt“, entgegnete er liebevoll.
Polly brachte kein Wort heraus und lächelte nur. All die vernünftigen und klugen Bemerkungen, die sie jetzt hätte machen müssen, kamen ihr nicht über die Lippen.
Ruggiero zog sie wieder an sich, und dieses Mal war es anders. Als er ihre Lippen mit seinen berührte, wusste sie, dass sie keine Kraft mehr hatte, sich von ihm zu lösen, weil sie es auch gar nicht wollte. In dem Moment hörten sie ein leises Wimmern.
Ruggiero versteifte sich und hob den Kopf. Polly sprang auf, beugte sich über das Kinderbett und streichelte Matti die Wange, bis er sich beruhigt hatte.
Sekundenlang beobachtete Ruggiero die beiden, dann verließ er schweigend den Raum.
Als Polly am nächsten Morgen aufwachte, war das Kinderbett leer. Rasch stand sie auf und blickte zum Fenster hinaus in den Garten. Sogleich entdeckte sie Hope und Minnie, die Matti abwechselnd fütterten.
Sie war froh darüber, in Ruhe nachdenken zu können. Am Abend zuvor hatte sie keinen klaren Gedanken fassen können. Nur eins war wichtig gewesen: Ruggieros Lippen auf ihren zu spüren. Ich war nahe daran, ihm zu verraten, was ich für ihn empfinde, dachte sie. Ich muss mich in Zukunft zusammennehmen. Dass er sie in ein Gefühlschaos gestürzt hatte, mu sste ihr Geheimnis bleiben. Als sie schließlich zum Frühstück hinunterging, hatte sie sich wieder perfekt unter Kontrolle. „Da sind Sie ja.“ Hope und Minnie kamen mit Matti aus dem Garten. „Ich habe ihn ganz leise geholt, damit Sie länger schlafen konnten.“
„Danke, das war nett.“
Dann setzten sie sich auf die Terrasse. Matti hatte die kleine Krise offenbar gut überwunden, denn er plapperte unbekümmert und fröhlich drauflos.
„Wie geht es Ihnen?“, erkundigte sich Hope.
„Gut, danke. Es tut mir leid, dass ich für so viel Aufregung gesorgt habe.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Hoffentlich hat Ruggiero sich gut um Sie gekümmert.“ „Ja, das hat er getan. Wo ist er eigentlich?“, fügte sie betont beiläufig hinzu.
„Er ist zur Firma gefahren und kommt zum Abendessen zurück.“
Offenbar will er mir aus dem Weg gehen, dachte Polly. Was gestern passiert war, war ihm sicher genauso peinlich wie ihr.
Schließlich gesellte sich auch Toni zu ihnen, und Matti fuchtelte mit den Ärmchen in der Luft herum und versuchte etwas zu sagen, was wie „buongiorno“ klang.
„Es dauert sicher nicht lange, bis er Italienisch versteht und spricht“, meinte Toni begeistert. „Wenn ich weg bin, vergisst er bestimmt sein Englisch“, sagte Polly.
„Oh nein, das würde ich nicht zulassen.“ Hope tätschelte ihr die Hand. „Doch Sie verlassen uns ja noch nicht. Oder hat Brian damit ein Problem? Am besten rede ich einmal mit ihm und erkläre ihm die Situation.“
„Nein, das ist nicht nötig“, wehrte Polly hastig ab. „Er akzeptiert meine Entscheidungen.“ „Gut, das wäre also geklärt. Sie bleiben noch länger hier.“
Das klang irgendwie gut, trotzdem wünschte Polly, sie könnte sicher sein, dass Ruggiero ihr nicht aus dem Weg gehen wollte.
Ihre Sorge verstärkte sich jedoch, als er zu spät zum Essen kam und sie nur flüchtig begrüßte. Die ganze Zeit über unterhielt er sich dann fast ausschließlich mit Luke und Minnie, was eigentlich durchaus verständlich war, denn die beiden wollten am nächsten Morgen nach Hause zurückfahren. Dennoch wurde Polly den Verdacht nicht los, dass Ruggiero sie absichtlich ignorierte.
Vielleicht leide ich ja unter Wahnvorstellungen, sagte sie sich. Dass er sich jedes Mal rasch abwandte, wenn ihre Blicke sich begegneten, konnte Einbildung sein. Oder auch nicht.
Als es so weit war, Matti ins Bett zu bringen, kam die
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