5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
religiöse Trägerschaft hatte oder völlig unreligiös war. Er hätte aus jeder Situation das Beste gemacht. So oder so wusste er, dass er bald zu Rita heimgehen würde, und das war alles, was für ihn jetzt noch zählte. Aber es war nun mal ein christliches Heim, und es gab neben dem regulären Personal auch viele ehrenamtlich Tätige.
Einer von ihnen war Roy, der die Runde machte, um den Heimbewohnern täglich aus der Bibel vorzulesen. Vor ein paar Monaten hatte er seine Dienste auch Lenny angeboten, was dieser höflich abgelehnt hatte. Roy blieb hartnäckig und wiederholte sein Angebot mehrmals, aber Lenny lehnte immer wieder freundlich ab.
Jetzt, wo Lenny in den letzten Zügen lag und keine Kraft mehr hatte, um Widerstand zu leisten, kam Roy jeden Nachmittag vorbei und las ihm Bibelpassagen vor. Er las ihm lange vor. Selbst ein gesunder Mensch, dessen Hobby das Bibelstudium gewesen wäre, wäre am Ende dieses täglichen monotonen Vortrags ein bisschen müde gewesen. Aus Höflichkeit bemühte ich mich auch, aufmerksam zuzuhören, während Roy vorlas. Aber manchmal nickte ich ein, ohne es zu wollen. Wie gesagt, er las wirklich lange, und das ohne jeden Ausdruck in der Stimme.
Noch schlimmer war, dass Roy anschließend mit Lenny über die Passage reden wollte, die er ihm vorgelesen hatte. Als seine Pflegerin war ich für Lennys Wohlergehen verantwortlich, also erklärte ich höflich, dass er nur sprechen konnte, wenn er die Energie dazu aufbrachte, und dass man ihn zu nichts zwingen sollte. Das entsprach voll und ganz der Wahrheit.
» Ich weiß, dass Sie eine ganz reizende Dame sind, Bronnie « , sagte Lenny eines Tages leise zu mir, nachdem Roy ins nächste Zimmer weitergezogen war. » Und ich weiß, dass Sie gerne das Beste in allen Menschen sehen möchten. Aber wenn der Kerl noch einmal hier reinkommt, tret ich ihn in den Arsch, dass er von hier bis Timbuktu fliegt. « Wir lachten laut. Wie wir beide wussten, würde Roy am nächsten Nachmittag wieder auftauchen.
» Wenn ich nicht in den Himmel komme, was soll dieser ganze Religionskram dann überhaupt? « , kicherte er. » Ich kann mich sowieso nicht darauf konzentrieren, was er da liest. Ich hab gar nicht die Kraft dazu. «
» Er hat doch gute Absichten, Lenny. Das ist sicher das Wichtigste « , antwortete ich. Wir mussten beide über die Situation kichern. Roy war ein netter Mann, aber so offensichtlich es auch war, dass er es gut meinte, die Sache verwandelte sich langsam wirklich in einen Sketch. Jeden Nachmittag, wenn er eintrat, wussten wir, was uns erwartete. Er wurde den weisen Worten der Bibel durch seine monotone, leblose Vortragsweise überhaupt nicht gerecht. » Zumindest kann man es dann besser verschlafen « , lachte ich. Lenny nickte lächelnd.
Die Tage vergingen, und man hatte mir schon andere Jobs angeboten, aber ich lehnte ab. Ich wollte bei diesem wunderbaren Mann bleiben bis zu seinem Tod. Außerdem fühlte ich mich zur Loyalität gegenüber seiner Tochter Rose verpflichtet. Es wäre schrecklich für sie gewesen zu denken, dass ihr Vater in einem anderen Land im Sterben lag und jeden Tag neue Pflegerinnen hatte. Außerdem wusste ich, dass mir unsere leisen Unterhaltungen schon bald sehr fehlen würden, und ich wollte sie nicht eher drangeben als nötig. Wie sich herausstellte, kam dieser Zeitpunkt dann sowieso sehr schnell.
Es war ein geschäftiger Donnerstagnachmittag in der belebten Vorstadt. Überall Geschäftigkeit: auf den Straßen, in den Läden und auch im Pflegeheim. Das Personal schwirrte mit seinen Essenswagen über die Korridore. Die Ärzte machten ihre Runden. Die Schwestern rannten von dort nach da, weil sie mehr Arbeit hatten, als sie bewältigen konnten. Die Patienten wurden in großen Rollstühlen herumgefahren. Manche sabberten dabei und starrten in die Luft. Pflegeheime boten immer solche tragischen Szenerien, und der heutige Tag war keine Ausnahme.
Als ich an den Sekretärinnen vorbeikam, hörte ich, wie sie sich über eine andere Sekretärin ausließen, und ich fragte mich, wie jemand, der vom Tod umgeben ist, seine Energie noch in Klagen über solche trivialen Angelegenheiten stecken konnte. Aber zu der Zeit hatte ich auch schon viel von meinen wunderbaren Patienten und aus meinem eigenen Leben gelernt. Die Dinge, auf die die meisten Leute ihre Energie verwenden, sind langfristig so irrelevant.
Wie immer kam ich mir vor wie in einer anderen Welt, als ich in Lennys Zimmer kam. Man spürte den Frieden in diesem
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