5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
darauf zurück, wie sehr sie es auf dem Sterbebett bereute, nicht das Leben gelebt zu haben, dass sie sich gewünscht hätte, sondern das Leben, das andere von ihr erwarteten. Wenn man nur noch wenig Zeit hat, hat man durch schonungslose Ehrlichkeit nicht mehr viel zu verlieren. Was wir jetzt miteinander teilten, gehörte zu den allerwichtigsten Dingen. Alle Themen, über die wir sprachen, waren zutiefst persönlich– leeres Geplauder gab es nicht mehr. Unerwarteterweise hatte es eine heilende Wirkung auf mich, mich Grace so zu öffnen, und mein offenes Ohr hatte heilende Wirkung auf sie.
Irgendwann kamen wir auch auf das Thema, wo ich im Leben gerade stand, auf meine musikalischen Ambitionen, dass ich angefangen hatte, Songs zu schreiben und damit aufzutreten. Beim Teetrinken bat sie mich, am nächsten Tag meine Gitarre mitzubringen und ihr etwas vorzuspielen, was mir ein absolutes Vergnügen war. Freudestrahlend sang ich Grace etwas vor. Lächelnd und summend lag sie im Bett. Sie war von jedem Lied, das ich ihr vorspielte, so begeistert, als wäre es das Beste, was sie jemals gehört hatte. Ihre Familie kam ebenfalls dazu und hörte sich ein paar Songs an, auch sie reagierten nett und voll ermutigender Worte. Ein Song gefiel Grace ganz besonders, weil sie doch immer so gern gereist wäre. Er hieß » Unter dem Himmel Australiens « .
Von da an bat sie mich immer wieder, ihr etwas vorzusingen. Die Gitarre sei dazu gar nicht nötig, meinte Grace. Also saß ich in ihrem Schlafzimmer und sang dieser lieben alten Dame vor. Lächelnd schloss sie die Augen und schien alles in sich aufzusaugen. Sie bat mich immer und immer wieder um bestimmte Songs, und ich wurde nie müde, sie ihr vorzusingen.
Graces Gesundheitszustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Obwohl sie sowieso schon so klein war, schwand sie immer noch mehr dahin. Alte Freunde kamen vorbei, um sich von ihr zu verabschieden. Die Verwandten, die an ihrem Bett saßen und mit ihr plauderten, mussten sich bemühen, die Tränen zurückzuhalten. Ihre Familie bestand aus lauter Tatmenschen, die sich sehr um sie kümmerten und regelmäßig besuchten. Das gefiel mir. Sie hatten eine Sanftheit an sich, die mich sehr anzog. Doch wenn sie alle weg waren, waren Grace und ich wieder allein, dann bat sie mich meist, ihr noch vorzusingen. Das waren ganz besondere Momente.
Sie konnte mittlerweile fast keinen Schritt mehr machen, doch obwohl sie einen Toilettenstuhl neben dem Bett akzeptiert hatte, weigerte sie sich, dort auch ihren Darm zu entleeren. Sie wollte eine richtige Toilette besuchen, damit ich den Toilettenstuhl nicht sauber machen musste. Da ließ sie sich nicht umstimmen, obwohl ich ihr versicherte, dass mir das nichts ausmachte. Also verbrachten wir Ewigkeiten damit, ins Badezimmer zu gelangen, das glücklicherweise direkt neben dem Schlafzimmer lag. Sie war sehr schwach. Wenn alles erledigt und sie gesäubert war, half ich ihr beim Aufstehen und zog ihr die Unterhose wieder hoch. Das musste mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung erfolgen, damit sie in diesem Moment nicht das Gleichgewicht verlor.
Als wir unsere Wanderung zurück ins Schlafzimmer antraten, lehnte Grace sich auf ihre Gehhilfe, und ich ging hinter ihr her und stützte sie an den Hüften. Da merkte ich, dass ich in der Eile ein Stück von ihrem Nachthemd mit in die Unterhose gesteckt hatte. Ich lächelte über diese goldige kleine Frau in ihren letzten Lebenstagen, die zu ihrem Bett zurückwankte. Als sie dann auf einmal anfing » Unter dem Himmel Australiens « zu singen, überwältigte mich die Freude geradezu. Sie verdrehte ein paar Worte im Text, aber das machte die Angelegenheit nur noch rührender.
Da wusste ich, dass ich gerade den Höhepunkt meiner musikalischen Karriere erreicht hatte. Nichts konnte jemals die Freude übertreffen, die ich in diesem Moment empfand. Wenn ich nie mehr einen weiteren Song geschrieben hätte, hätte es mir auch nichts ausgemacht. Diesem lieben Menschen durch meine Musik so viel Freude bereiten zu können und diese Freude dann auch noch zurückzubekommen, indem ich hörte, wie sie in ihren letzten Lebenstagen mein Lied sang, öffnete mir das Herz mehr als alles, was ich mir musikalisch je erhofft hatte.
Als ich ein paar Tage später zur Arbeit kam, spürte ich sofort, dass dies Graces letzter Tag sein würde. Ich sagte ihr, dass ich ihre Familie anrufen wollte, doch sie schüttelte zuerst den Kopf. Schwach und erschöpft, wie sie war, streckte sie die
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