5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
schneller wusste, woran er war. Man nahm mehrere chirurgische Eingriffe vor. Dann schlief er mit Hilfe von Schmerzmitteln die erste Woche durch, und in dieser Zeit saß ich im Krankenhaus neben seinem Bett. Danach musste man abwarten, ob er sich nicht vielleicht doch schrittweise wieder erholte.
Mit der Zeit spielte es sich ein, dass ich ihm vorlas. Es fing an einem Abend an, als er mich fragte, was ich gerade las. Nachdem ich ja schon eine Weile im Mittleren Osten gelebt hatte, wollte ich gerne noch einmal dorthin zurück. Nun las ich ein Buch, das sich intelligent und unvoreingenommen mit der Lebensweise und Geschichte der Region auseinandersetzte. Mir war durchaus bewusst, dass in einigen Ländern dort die Frauen unterdrückt wurden oder dass manche Extremisten aus diesen Nationen im Namen ihrer Religion handeln (so wie Extremisten jeder Religion die Lehren der Nächstenliebe aus den Augen verlieren, die allen Religionen gemein ist). Doch ich hatte auch eine Seite dieser Kultur gesehen, die leider nie in den Medien gezeigt wird.
Die Menschen dort sind sehr warmherzig und familienorientiert und gehören zu den großzügigsten Gastgebern, die mir jemals begegnet sind. Sie öffneten sich vorbehaltlos und hießen mich, ohne zu zögern, willkommen. Genauso ging es mir mit Menschen aus diesen Regionen, die ich seitdem in Australien kennengelernt hatte. Wir im Westen haben so viel von unseren familiären Bindungen verloren, vor allem, was die ältere Generation angeht. Das sah ich mit eigenen Augen an der Zahl der einsamen Menschen in den Pflegeheimen, wo ich immer mal wieder für eine Schicht hingeschickt wurde.
Andere Kulturen und verschiedene Lebensstile faszinieren mich. Ebenso die kulinarischen Freuden, die es in anderen Kulturen zu entdecken gibt. Andererseits gleichen wir uns auch in vielerlei Hinsicht. Rassismus werde ich nie begreifen. Die meisten von uns ähneln sich schon darin, dass sie einfach nur glücklich sein wollen. Und wir alle haben ein Herz, das leiden kann.
Anthony war ganz versessen darauf, mehr über meine Lektüre zu erfahren. Nachdem ich uns eine Kanne Kräutertee gemacht hatte, dessen Aroma sanft durchs Zimmer zog, erzählte ich ihm also, was ich bis jetzt gelesen hatte. Und dann las ich weiter, allerdings laut. So verbrachten wir jeden Tag ein, zwei Stunden, die wir beide sehr genossen. Da wir mehrere Wochen vor uns hatten, konnte ich Anthony mit Büchern bekannt machen, die ihm sonst nie in die Finger geraten wären. Ich bot ihm zwar immer mehrere Themen zur Auswahl an, aber er wollte am liebsten hören, was ich las.
Also stellte ich ihm einige spirituelle Klassiker vor. Bücher über das Leben, Philosophie und Denken außerhalb der gängigen Bahnen. Hinterher entwickelte sich eine Diskussion darüber, während ich meinen pflegerischen Pflichten nachging: Ich hob einen Arm, den er nicht mehr bewegen konnte (der andere lag in Gips), verband die Wunde an einem Bein, das er nicht mehr bewegen konnte, fütterte ihn, kämmte ihn oder kümmerte mich jeweils um andere Bedürfnisse seiner persönlichen Hygiene.
Leider stellte sich heraus, dass die Verletzungen, die er sich bei seinem Unfall zugezogen hatte, zu groß waren und die Operationen nicht zum Erfolg führten. Manches ließ sich wieder heilen. Anderes blieb auf Lebenszeit geschädigt. Er konnte also nicht wieder nach Hause, da er lebenslang Hilfe und permanente persönliche Betreuung brauchte. Daraufhin wurde beschlossen, dass er in ein Pflegeheim gehen sollte, eines der besten der Stadt, wenn man nach der Broschüre und dem Preis gehen wollte.
Anthony, ein junger Mann, war jetzt umgeben von graubraunen Wänden und sterbenden alten Leuten. Es war eine grässliche Umgebung, und ich verspürte die größte Lust, die Wände in einer helleren, kräftigeren Farbe zu streichen. Doch am Anfang war er relativ glücklich dort. Es beruhigte ihn, dass seine Familie sich keine Sorgen machen musste, weil sie ihn in guten Händen wusste. Außerdem konnte er die älteren Heimbewohner aufmuntern, und sie liebten ihn. Im Laufe der Zeit nahm seine Energie jedoch ab, und der Mangel an äußeren Stimuli stumpfte seine Intelligenz ab. Er wurde ein Produkt seiner Umwelt.
Im Grunde genommen sind wir nämlich alle sehr formbare Wesen. Wir haben zwar die Wahl, für uns selbst zu denken, und den freien Willen, ganz nach unserem Herzen zu leben, aber unsere Umwelt hat großen Einfluss auf uns, vor allem solange wir das Leben noch nicht aus einer bewussteren
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