5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
Anfang vierzig und Ende fünfzig, und die Mehrheit hatte selbst Kinder.
Die Angst, einen Elternteil zu verlieren, vielleicht auch die Angst vor dem eigenen Schmerz, führt oft zu sehr heftigem Verhalten. Das machte mir immer wieder bewusst, wie schädlich es ist, in einer Gesellschaft zu leben, die den Tod auszuklammern versucht. Die Menschen sind überhaupt nicht vorbereitet auf die Heftigkeit der Gefühle, die diese Situation mit sich bringt, und reagieren zudem schrecklich ängstlich und verletzlich. Die Familie trifft es oft noch mehr. Meine Patienten fanden ihren Frieden, bevor sie starben, doch die Gefühle der Kinder gerieten völlig außer Kontrolle, nur noch beherrscht von Angst und Panik.
Da ich in Privathäusern arbeitete, erlebte ich den Lebensstil und die Dynamik zahlloser Familien hautnah mit. So erfuhr ich, dass fast alle Familien mit gewissen Herausforderungen zu kämpfen haben, dass sie Heilungsprozesse durchmachen und voneinander lernen müssen. Manchen war gar nicht wirklich bewusst, welche Mechanismen bei den einzelnen Familienmitgliedern zum Auslöser wurden. Aber solche Mechanismen gab es immer. Wenn ich hörte, wie Geschwister miteinander stritten, hielt ich mich respektvoll heraus und versuchte, die Situation mit so viel Mitgefühl wie möglich zu betrachten.
Ein wichtiges Thema in dieser Phase ist Kontrolle. Oft gab es einen unter den Geschwistern, der alles kontrollieren wollte: die Art, wie das Haus geführt wurde, den Einkaufszettel, die Pfleger, die bevorstehende Beerdigung, alles. Wenn andere Geschwister versuchten, etwas beizutragen oder ihre Ansicht zu äußern, führte das zu Streit. Jeder hat das Recht, etwas beizutragen, und weil die verbliebene Zeit so kurz ist, hat auch jeder ein gesteigertes Bedürfnis danach. Doch bei der dominierenden Person in der Familie verstärkt sich in dieser Zeit der Wunsch, alles selbst zu steuern, oft noch. Es war herzzerreißend, diese Demonstrationen von Macht beziehungsweise vermeintlicher Macht mit anzusehen, weil sie so sehr von Angst befeuert waren.
Für mich jedoch stand das Wohlbefinden meines Patienten an erster Stelle, vor absolut allem anderen. Wenn ich hörte, wie sich an Charlies Bett ein Schreiduell anbahnte, war ich im Handumdrehen im Zimmer. Mein lieber Patient lag im Bett, rechts und links davon standen seine erwachsenen Kinder, Greg und Maryanne. Sie schrien sich verzweifelt an und hatten jede Beherrschung verloren. » Bitte, das reicht jetzt « , sagte ich fest, aber freundlich. » Wenn Sie das austragen müssen, dann bitte im Nebenzimmer. Schauen Sie sich Ihren Vater an. Er liegt hier im Sterben, machen Sie sich das doch bitte mal klar. «
Maryanne brach in Tränen aus und entschuldigte sich bei ihrem Vater. Charlie war ein friedlicher Mann, und anscheinend war er das schon immer gewesen. » Er schikaniert mich die ganze Zeit « , sagte sie über ihren Bruder. Maryanne hatte schöne blaue Augen und langes schwarzes Haar. Sie hätte einem Künstler Modell sitzen können, dachte ich mir. Aber jetzt waren ihre Augen vom Weinen gerötet und schauten furchtbar traurig.
Greg konterte sofort: » Tja, ich sehe einfach nicht ein, warum du genauso viel erben solltest wie ich. Du bist weggezogen. Du hast dich weniger gekümmert. Ich habe hart gearbeitet und war am meisten für Dad da, seit Mum gestorben ist. « Mir tat das Herz weh, wenn ich Greg und seine Argumente hörte. Hinter diesen Worten steckte ein zerbrechlicher, verletzter kleiner Junge. In beiden konnte ich ihren Vater erkennen, aber ich glaube, Greg muss auch seiner Mutter ähnlich gesehen haben. Sein Haar war braun, sein Teint heller als der seiner Schwester. Doch er weinte nicht. Er rauchte vor Wut.
Er sah Charlie an, um ihm eine Stellungnahme zu entlocken, doch dann zuckte er nur mit den Schultern und sah mich mit seinen traurigen großen, blauen Augen an. Ich führte die beiden hinaus und meinte: » Vielleicht wäre es am besten, wenn Sie beide jetzt das Zimmer verlassen. Das hilft hier niemandem, am allerwenigsten Ihrem Vater. « Wir machten Tee, setzten uns in die Küche, und ich hörte ihrer Unterhaltung zu. Maryanne hatte nicht viel zu sagen, und als ich sie nach dem Grund fragte, sagte sie, es sei die Aufregung nicht wert. Doch unter den verletzenden Worten, die sie sich an den Kopf warfen, konnte ich immer noch die Liebe erkennen. Ich dachte daran, wie Aufrichtigkeit begonnen hatte, meine familiäre Situation zu heilen, und ermutigte die beiden zum Reden.
Meine
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