5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
weiter. Das ging zwar sehr langsam, aber zumindest konnte sie sich so Gehör verschaffen. Im Stillen dankte ich den Menschen, die ihr solche Möglichkeiten gaben, indem sie dieses Programm entwickelt hatten. Doch bald würde Jude nicht einmal mehr ihren Kopf bewegen können, und dann ließ sich auch der Computer nicht mehr nutzen.
An ihren guten Tagen hörte ich also so viel wie möglich zu, während Jude redete. Sie hatte vieles zu sagen. Ich hielt ihr geduldig immer wieder ein Saftglas an die Lippen, so dass sie Schlückchen um Schlückchen nehmen konnte, damit sie weiter sprechen konnte. Vor allem eines wollte sie mitteilen, und das tat sie immer und immer wieder. » Wir müssen den Mut haben, unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen « , sagte sie. Wie passend, dachte ich, im Hinblick auf meinen eigenen Lebensweg.
Obwohl sie durch ihre Entscheidung für Edward jede Beziehung zu ihrer Mutter verloren hatte, war sie glücklich, weil sie wusste, dass sie zumindest dafür mutig genug gewesen war, und sie hatte es auch nie bereuen müssen. Doch jetzt sehnte sie sich danach, ihre Gefühle mit ihrer Mutter zu teilen, denn diese hatte Jude nie als Mutter erlebt. Jude hatte ihr schon vor einiger Zeit einen Brief geschrieben, der in Edwards Schreibtischschublade wartete. Tatsächlich wusste die Mutter von der Krankheit. Aber sie blieb stur und unversöhnlich und war unfähig, ihre sterbende Tochter zu besuchen.
» Wir müssen lernen, unsere Gefühle jetzt auszudrücken « , betonte Jude. » Nicht, wenn es schon zu spät ist. Keiner von uns kann wissen, wann es zu spät ist. Sag den Menschen, dass du sie liebst. Sag ihnen, dass du sie zu schätzen weißt. Wenn sie deine Ehrlichkeit nicht mögen oder anders reagieren, als du es dir erhofft hattest, ist das egal. Wichtig ist nur, dass du es ihnen gesagt hast. «
Sie meinte, das sei genauso wichtig für die Sterbenden wie für die Hinterbliebenen. Die Sterbenden müssen wissen, dass alles gesagt ist. Das bringt ihnen Frieden, sagte sie. Wenn die Hinterbliebenen auch den Mut haben, ihre Gefühle ehrlich auszudrücken, werden sie dieses Versäumnis bei ihrem eigenen Ableben nicht beklagen müssen. Und sie müssen auch nicht mit dem Schuldgefühl leben, dass ein geliebter Mensch gestorben ist und dabei Dinge ungesagt geblieben sind.
Diesen Punkt klarzumachen war Jude ein umso dringenderes Anliegen, als sie ein Jahr zuvor unerwartet eine Freundin verloren hatte. Das hatte ihre Welt völlig erschüttert. Tracey war eine quirlige Frau gewesen, der Mittelpunkt jeder Party. Alle mochten sie, weil sie so ein großes Herz hatte und niemals voreingenommen war.
» Man verliert sich so leicht in der Geschäftigkeit seines eigenen Lebens und verbringt nicht genug Zeit mit den Menschen, die man liebt, seien es Verwandte oder Freunde. Aber man muss sich den Gedanken abgewöhnen, dass diese geliebten Menschen ewig da sein werden. Im Nu kann es vorbei sein « , mahnte Jude. Sie war dankbar, dass sie die Zeit gehabt hatte, Abschied zu nehmen, aber sie betonte, dass nicht jeder den Vorteil hat, am Ende noch einmal seine Gefühle auszudrücken. Tatsächlich haben Millionen von Menschen keine Zeit dafür, weil sie ganz plötzlich sterben.
Obwohl sie dadurch, dass sie ihre Gefühle für Edward klar ausgedrückt hatte, die Beziehung zu ihrer Mutter ruiniert hatte, war Jude natürlich froh, dass sie den Mut zur Ehrlichkeit gehabt hatte. Auf diese Weise konnte sie nicht nur die Fülle der Liebe erfahren, die Edward und sie immer noch teilten, sondern hatte auch ihren inneren Frieden, weil sie wusste, dass sie ihrem Herzen treu geblieben war. Es machte ihr auch deutlich, wie stark sie bis dahin unter der Kontrolle ihrer Eltern gestanden war, vor allem ihrer Mutter. Wenn eine Beziehung auf Kontrolle aufbaut, sagte sie, wie kann man dann überhaupt eine wirklich gesunde Beziehung zum anderen unterhalten? Wenn das also die einzige Art von Beziehung war, die man ihr anbot, dann war sie besser bedient, wenn sie darauf verzichtete.
Nachdem sie den Versuch unternommen hatte, mit ihrer Mutter zu sprechen, konnte Jude nun sagen, dass sie ohne Schuldgefühle sterben würde. Sie hatte den Mut besessen, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben. Gott sei Dank hatte sie sich Tracey gegenüber genauso verhalten– Jude war immer sehr ehrlich zu ihr gewesen, und so groß der Schock war, die Freundin zu verlieren, war sie doch ohne jedes Schuldgefühl. Nur wenige Tage vor dem Tod ihrer Freundin waren die beiden zusammen
Weitere Kostenlose Bücher