5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
Also wünschte man sich immer mehr eine Pflegekraft, die möglichst flächendeckend anwesend war. Die Pflegerinnen, die in meiner Freizeit meinen Dienst versahen, wurden speziell angelernt, was ich auf Grund meiner Erfahrung glücklicherweise selbst machen konnte. Da Jude ihr eigenes Gewicht nicht mehr tragen konnte, benutzten wir eine hydraulische Hebevorrichtung, um sie in den Rollstuhl beziehungsweise ins Bett zu heben. Von Tag zu Tag beobachtete ich, wie ihre Fähigkeiten weiter abnahmen, und ich war froh, dass ich gekommen war, als sie sich noch einigermaßen hatte verständlich machen können, denn so konnte ich die Knurrlaute besser verstehen, mit denen sie später kommunizierte.
Jude stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie und stand als junge Frau unter dem Druck, eine gute Partie zu machen und das Leben zu führen, das man von ihr erwartete. Ihr erstes Auto war eine Luxuskarosse, die mehr kostete, als die meisten Leute im Jahr verdienen. Bis sie Mitte zwanzig war, hatte sie keinen Fuß in ein normales Kaufhaus gesetzt. Sie kannte nur Designerkleidung. Dafür hatte ihr Elternhaus gesorgt.
Trotzdem war sie immer ein sehr bodenständiger und kreativer Mensch geblieben. Ein einfaches Leben war alles, was sie wollte, vertraute sie mir an. Aber ihre Eltern bestanden darauf, dass sie an die Uni ging, und stellten sie vor die Wahl, entweder Wirtschaft oder Jura zu studieren. Etwas anderes kam gar nicht in Frage, auch wenn sie kurz erwähnte, sie würde gern Kunstgeschichte belegen. Unter dem Druck der Erwartungen entschied sich Jude also für Jura. Ihre Entscheidung beruhte auf der Überlegung, dass ihre Eltern ja eines Tages sterben würden und sie ihr Wissen dann für eine gute Sache einsetzen konnte, entweder für die Kunst oder für wohltätige Zwecke. Doch so weit kam es nie. Ihr Vater lebte inzwischen nicht mehr, aber es war sehr wahrscheinlich, dass Jude vor ihrer Mutter sterben würde. Sie war sowieso nicht mehr in der Lage zu arbeiten.
Ihre Liebe zur Kunst führte letztlich dazu, dass sie sich in Edward verliebte, einen Künstler. Wie sie beide erzählten, fühlten sie sich vom ersten Moment an zueinander hingezogen, und diese Gefühle waren offenbar in den Jahren ihres Zusammenlebens nicht geschwunden. Obwohl beide zunächst etwas schüchtern waren, hatte die gegenseitige Anziehung ihnen schließlich doch den nötigen Mut verliehen.
Im Handumdrehen waren sie verliebt, und alles rundherum wurde unwichtig, weil sie füreinander die ganze Welt waren. Judes Familie war entsetzt über ihre Wahl, denn Edward stammte aus einer eher bescheidenen Familie und war es zufrieden, ein schlichtes Leben zu führen und seine künstlerische Tätigkeit zu verfolgen. Tatsächlich war er als Künstler sogar ziemlich erfolgreich. Aber da er keinen konventionellen Bürojob hatte, konnte er niemals vor den Augen von Judes Eltern bestehen.
So musste sie sich leider zwischen ihren Eltern und Edward entscheiden, und sie entschied sich für Edward. Natürlich, lachte sie. Da gab es nicht viel zu entscheiden. Sie liebte ihn von ganzem Herzen und er sie ebenso. Jude wurde von ihrer Familie geächtet. Aus ihrem früheren Leben blieben ihr nur eine Handvoll enger Freunde. Aber sie bewegte sich jetzt in einer anderen, glücklicheren Welt, in der sie auch so akzeptiert wurde, wie sie war, und so genoss sie die neuen Freundschaften, die sich ergaben.
Ein paar Jahre später konnten Jude und Edward ihre kleine Tochter Layla in ihrem Leben begrüßen. Jude wünschte sich, dass ihre Eltern ihre Enkelin kennenlernten, und gab sich alle Mühe, eine Versöhnung in die Wege zu leiten. Zu guter Letzt gab ihr Vater nach und konnte noch eine echte, liebevolle Beziehung zu seiner Enkelin aufbauen und genießen, bevor er starb. Sein Verhältnis zu Jude verbesserte sich dabei auch. Zu Edward war er zwar höflich, aber er hatte sein Leben lang mit der Tatsache zu kämpfen, dass ein Künstler das Herz seiner Tochter gewonnen hatte, also wurde diese Beziehung nie besonders eng. Trotzdem kaufte Judes Vater infolge seiner Beziehung zu Layla ein Anwesen in Hafennähe für die Familie seiner Tochter, sehr zum Unmut der Mutter.
Alles lief ganz wunderbar, erzählte man mir, bis Jude plötzlich ungeschickt wurde, und das in einem Ausmaß, dass man es irgendwann nicht mehr ignorieren konnte. Jude und Edward berichteten mir ganz einmütig von den Ereignissen– und ich glaube, wäre sie nicht krank gewesen, wären sie nicht weniger einmütig gewesen. Sie
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