5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
konnte mit meinen Patienten eigentlich immer schweigend zusammensitzen, ohne dass die Stille unangenehm oder peinlich geworden wäre. Sie hatten so vieles, worüber sie nachdenken und was sie in sich aufnehmen mussten, dass eine Unterhaltung manchmal einfach nur störte. Es war völlig unnötig, die Stille dann mit Worten zu füllen. Wenn sie bereit waren, würden sie schon wieder das Wort ergreifen. Und das tat auch Elizabeth nach einiger Zeit.
Sie gestand, sie ahne es schon seit Längerem, und die Unaufrichtigkeit ihrer Familie sei sehr frustrierend für sie. Es war grausam, ihr die Freunde und das Sozialleben wegzunehmen, sagte sie, und ich musste ihr recht geben. Elizabeth wusste, dass sie nicht kräftig genug war, um aus dem Haus zu gehen, aber sie sagte, sie würde ab und zu gerne jemand von ihren Freunden sehen. Manchmal kamen Bekannte vorbei, die von der Familie gutgeheißen wurden und denen man so weit vertraute, dass sie keinen Alkohol einschmuggelten. Das seien alles sehr nette Leute, meinte sie, aber zu keinem von ihnen habe sie wirklich ein nahes Verhältnis.
Nachdem wir diesen Grad an Aufrichtigkeit erreicht hatten, floss unsere Unterhaltung ungehindert weiter. Die Zeit war zu knapp, um noch ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Also genossen Elizabeth und ich unsere Gesellschaft von Tag zu Tag mehr. Nachdem ich jahrelang so zurückgezogen gelebt hatte, war ich jetzt oft überrascht über mich selbst, wie leicht ich meine persönlichen Gedanken ausdrückte. Jetzt, wo sie den Tod auf der Schwelle wusste, fand auch Elizabeth die Offenheit unseres Austausches sehr wohltuend. Anfangs war sie wütend auf ihre Familie, die ihr nicht gesagt hatte, dass sie sterben würde, aber irgendwann akzeptierte sie es. Sie nahm an, dass das Kontrollverhalten ihrer Verwandten auf Angst zurückzuführen war. Deswegen konnte sie ihnen verzeihen.
Doch konnte sie nicht länger so tun, als wüsste sie nicht, was ihr bevorstand, also sprach sie ihre Verwandten an einem meiner freien Tage direkt darauf an. Dieses Gespräch brachte sie einander ein ganzes Stück näher, und die Familie war erleichtert, weil ihr nun niemand mehr die Wahrheit eröffnen musste. Ich war froh, das zu hören, aber auch erleichtert, dass niemand wegen meiner Aufrichtigkeit wütend auf mich war. Trotzdem blieb ihre Familie bei ihrem Standpunkt und erlaubte ihr den Kontakt mit ihren Trinkerfreunden nur per Telefon.
Doch Elizabeth entwickelte sich enorm weiter und akzeptierte diese Entscheidung ohne jede Resignation. Gegenüber ihrer Familie hätte sie es nicht zugeben wollen, aber mir gegenüber räumte sie ein, dass dieser Freundeskreis wahrscheinlich sowieso nur durch den Alkohol zusammengehalten worden war. Ich erzählte Elizabeth von meinen eigenen Erfahrungen. Vor mehreren Jahren hatte sich mein Freundeskreis radikal verändert, als ich mich nämlich vom Kiffen verabschiedete. Da war klar geworden, wer wirklich zu meinen Freunden gehört hatte und wer sich nur als mein Freund bezeichnete, weil wir unsere Joints zusammen rauchten. Wie sich herausstellte, fühlten sich einige Leute, die ich eigentlich für sehr gute Freunde gehalten hatte, gar nicht besonders wohl in meiner Gegenwart, wenn ich nicht stoned war wie sie. Deswegen war keiner von ihnen ein schlechterer Mensch. Aber als ich aufhörte, mich in dieser Welt zu bewegen, erkannte ich, dass mich mit manchen Leuten nur das Grasrauchen verbunden hatte. Ohne Gras gab es keinen gemeinsamen Nenner mehr, der unsere Freundschaft zusammenhielt. Und so drifteten wir in völlig unterschiedliche Richtungen.
» Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben. Mit meinen richtigen Freunden « , sagte sie, und ich erkannte in ihren Worten die Worte ehemaliger Patienten wieder. » Meine Trinkerei hat mich von meinen Freundeskreisen entfernt, und jetzt, nach fünfzehn Jahren, habe ich nicht mehr viel, was mich mit den alten Freunden verbinden könnte. Sie sind sowieso alle weggezogen. «
Als wir über die Bekannten sprachen, die sie besuchen durften, meinte Elizabeth, sie würde diese Leute nicht ihre » Freunde « nennen. Wir redeten darüber, wie oberflächlich dieses Wort manchmal benutzt wird und dass es so viele verschiedene Niveaus von Freundschaft gibt. In letzter Zeit war ich dazu übergegangen, einige von meinen » Freunden « eher als sehr nette Bekannte einzustufen. Das bedeutete nicht, dass ich weniger von ihnen hielt. Sie waren immer noch wichtig für mein Leben, aber nachdem ich
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