5 Freunde 16 - Fünf Freunde auf dem Leuchtturm
gefährlich waren sie. Und alle hatten Angst vor ihnen, richtige, ehrliche Angst. Der Alte, das war Ein-Ohr-Bill. Angeblich hatte ihm ein Affe das linke Ohr abgebissen. Aber nehme ich's dem Affen übel? Nein! So wenig, wie ich es eurem Affen übel nähme, wenn er einem gewissen Jemand, den ich kenne, ein Ohr abbisse. Einen Namen will ich nicht nennen, er könnte mich hören.«
Der Alte blickte sich um, als stünde der gewisse Jemand tatsächlich hinter ihm.
»Also - da war Ein-Ohr, der alte Mann - und Nossy, der Sohn, und Bart, der Neffe - und keiner stand dem anderen an Gemeinheit nach. Es gab für sie nur ein Lebensziel - und das war Geld! Und einen lästerlichen Weg suchten sie sich aus, um an dieses Ziel zu gelangen!« Der alte Mann machte eine Pause, um in hohem Bogen voll Abscheu auf das Pflaster zu spucken. »Pah! Ich werde euch erzählen, wie sie zu Geld kamen, o ja, ich werde es euch erzählen! Und ich werde euch auch erzählen, welches Ende es mit ihnen nahm. Mag euch und allen eine Lehre sein. - Seht ihr die hohe Klippe dort unten an der Küste - die mit dem Fahnenmast, wo die Fahne im Wind flattert?«
»Ja!« tönte im Chor die Antwort. Und fünf Augenpaare blickten zur wehenden Fahne hinüber.
»Nun, von diesem Punkt an müssen die Schiffe vom Land Abstand halten«, erklärte der alte Seemann, »sonst erfaßt sie die Strömung und wirft sie gegen die Teufelsfelsen, und das wäre ihr Untergang. Noch keinem Schiff ist es gelungen, aus den Zähnen dieser Ungeheuer zu entkommen, wenn es einmal in ihrem Sog war. Und seht ihr, um die Schiffe von den Klippen fernzuhalten, zog man damals am Tage eine Fahne auf - und zündete nachts eine Lampe an. Und beide sagten klar und eindeutig »Vorsicht! Haltet Abstand! Gefahr!«
Natürlich kannten alle Seeleute die Flagge und das Licht, und so mancher verdankte ihnen sein Leben, und immer folgten sie ihrem Rat und steuerten ins offene Meer hinaus. Doch das paßte Ein-Ohr-Bill nicht. Ihn ließen ein paar Schiffbrüchige völlig kalt. Er erschien jedesmal auf der Bildfläche, wenn ein Schiff an den Felsen zerschellte, und nahm mit, was nicht niet- und nagelfest war. Aber glaubt ihr, er hätte jemals ein Menschenleben gerettet? Nein, er nicht! Manche Leute sagten, er sei der Teufel der Teufelsfelsen persönlich.«
»Was für ein schrecklicher Mensch!« Anne schüttelte sich vor Abscheu.
»Ja, ja, da hast du recht, Mädchen«, nickte der Alte. »Nun, die Schiffbrüche waren ihm und Nossy und Bart zu dünn gesät. So steckten sie also ihre häßlichen Köpfe zusammen und heckten den teuflischsten Plan aus, den Menschen nur ersinnen konnten.«
»Was für einen Plan?« fragte Brummer atemlos. Die Augen fielen ihm vor Spannung fast aus dem Kopf.
»Nun, in einer Sturmnacht löschten sie die helle Lampe und trugen sie zu jenem kleinen Felsen, seht ihr?« Und der alte Mann wies auf einen Felsvorsprung in der Nähe. »Und ihr wißt ja, was unter diesem Felsen ist - rings um den Leuchtturm herum!«
»Felsen! Scharfe, schreckliche Felsen die Teufelsfelsen!« sagte Georg voll Entsetzen.
»Wollen Sie damit sagen, daß Ein-Ohr-Bill und die anderen absichtlich die Lampe dort anzündeten, um Schiffe genau auf die Felsen zu locken?« fragte Julius.
»Genau das wollte ich sagen«, nickte Jeremias Boonsen. »Und noch mehr: Ich selbst bin Ein-Ohr-Bill in einer dunklen Nacht begegnet, als der Sturm heulte - und was, meint ihr, schleppte er zusammen mit Nossy? Die Lampe! Sie hatten sie natürlich gelöscht, aber ich hatte eine eigene kleine Laterne bei mir und konnte die Lampe genau unterscheiden. Ja, ja, so war's. Und als sie mich bemerkten, hetzten sie Bart auf mich. Er sollte mich den Felsen hinunterstürzen und für immer zum Schweigen bringen. Doch ich entkam. Und ich habe nicht geschwiegen! O nein! Ich habe alles getreulich berichtet. Ein-Ohr-Bill wanderte hinter Gitter, es geschah ihm recht, diesem Bösewicht! Aber er machte sich nichts daraus - warum sollte er auch? Er war reich! Sehr reich!«
»Aber wie konnte er reich werden?« fragte Richard.
»Nun, junger Mann, die Schiffe, die in damaliger Zeit an dieser Küste entlangfuhren, kamen aus fernen Ländern, und so manches hatte Schätze an Bord«, unterrichtete sie Jeremias. »Und Ein-Ohr-Bill hatte so viel Gold und Silber und Perlen und andere Dinge aus den Schiffstrümmern gestohlen, daß er wußte, er würde sein Leben lang nicht mehr zu arbeiten brauchen, wenn er seine Gefängnisstrafe verbüßt hatte. Er würde ein
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