5 Tage im Sommer
Martha’s Vineyard zu Ende gingen, aber so war das Leben. Es wurde Zeit, in die Zivilisation zurückzukehren.
»Kommen Sie, meine Damen.« Ted nahm den Koffer und machte sich auf den Weg zur Simon’s Narrow Road. Marian zog Daisy mit sich.
»Es war ein netter Besuch«, sagte er. »Entspannend.«
»Ich hätte gut noch einen weiteren Tag brauchen können.«
»Warum mussten wir denn weg?« Daisy riss sich von der Hand ihrer Mutter los. »Ich will für immer hier bleiben.«
»Gut, wir besuchen dich dann irgendwann mal.« Marian gesellte sich an Teds Seite und ging weiter. Sie mussten lachen, als sie Daisys trippelnde Schritte hinter sich hörten.
»Wann fährt der Bus?«, fragte Ted.
»Um vier. Wir essen im Mute Swan zu Mittag wie immer.«
»Ja!« Jetzt lief Daisy ihnen voraus. »Ich nehm Fish ’n’ Chips! Juhu!«
Das Restaurant lag nur ein paar hundert Meter weiter an der Straße. Es war eine ziemliche Bruchbude und deswegen genau richtig, wenn man ein lautes Kind wie Daisy dabei hatte. Marian nahm sich vor, die Kellnerin zu fragen, ob es in der Nähe eine Art von Fundbüro gäbe, wo sie Daisys Armband abgeben könnte. Nein, nicht Daisys, sondern das einer Fremden. Darum ging es nämlich. Obwohl Daisy es am liebsten behalten hätte, war es eine Sache des Prinzips, es zurückzugeben.
Für die Mittagszeit war der Mute Swan gut besucht, aber im hinteren Teil des Restaurants gab es noch einige freie Tische. Glücklicherweise mussten sie nicht an der Theke auf einen Tisch warten, denn dort war allerhand Schnickschnack ausgestellt: Knochenschnitzereien, Beanie Babies und Konfekt, die größte Anziehungskraft auf Daisy ausübten. Auf Martha’s Vineyard waren sie dem Tand der zivilisierten Welt glückliche drei Tage lang entkommen, und Marian war nicht bereit, jetzt schon wieder irgendwelche Sachen zu kaufen, die sie nicht brauchten.
Daisys weiße Shorts waren am Hintern bereits leicht schmutzig, und Marian zuckte zusammen, als sie ihre Tochter durchs Restaurant zu ihrem Tisch hüpfen sah. Aber Daisy strahlte so viel Leben und Frische aus, dass es unmöglich war, ihr böse zu sein. Marian lächelte und folgte ihrer Tochter. Sie setzte sich so an den Tisch, dass sie zum Fenster hinaus auf die Bucht blicken konnte. Ted nahm neben ihr Platz.
»Daisy!« Seine strenge Stimme bewegte sie dazu, sich auf einen der Stühle zu setzen. Aber nur kurz, wie ein Gummiball schnellte sie gleich wieder hoch.
»Ich geh mal die Beanie Babies vorne angucken.« Daisy sammelte die Puppen für ihr Leben gern und war immer auf der Suche nach neuen Modellen.
»So, tust du das?« Mit zur Seite geneigtem Kopf sah Marian ihre Tochter an.
Daisy stemmte die Hände in die Hüften und bettelte mit schmeichelnder Stimme: »Bitte, ich möchte sie doch nur angucken.«
Ted konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dem beträchtlichen Charme ihrer Tochter hatten sie beide nichts entgegenzusetzen.
»Zwei Minuten«, sagte Marian. »Und geh nicht weg von der Theke. Bleib immer nahe genug, dass du uns noch sehen kannst, damit wir dich noch sehen können.«
Daisy hüpfte los, bevor ihre Mutter zu Ende gesprochen hatte.
Jemand hatte ein Exemplar der Cape Cod Times auf dem Stuhl neben Marian liegen gelassen. Sie nahm es zur Hand, schlug es auf und reichte Ted einen Teil.
»Wir haben wahrscheinlich nicht viel verpasst«, sagte sie und begann zu lesen.
KAPITEL 29
D er Maismann gab Emily eine weitere Spritze in den Arm. Sie spürte, wie sich die Taubheit noch verstärkte. Dann trat er hinter sie und zupfte an der Augenbinde. Sie rutschte herunter. Absolute Dunkelheit. Emily konnte ihre Augen nicht öffnen. Der Klagelaut eines zu Tode erschreckten Kindes ertönte. Sam. Die Fingerspitzen des Maismannes drückten ihre Lider auf wie Schiebetüren.
Die Dunkelheit wurde zerrissen von gleißend hellen Punkten. Ihr erster Impuls war, die Augen zu schließen, doch es ging nicht. Sie blieben offen, und das Licht drang wie Nadelstiche in sie ein. Als sie schließlich etwas erkennen konnte, war es Sammy, der vor ihr gefesselt auf dem Boden lag. Seine Beine waren mit sauberen weißen Stricken zusammengebunden, seine Hände hinter dem Rücken fest verzurrt. Ein Streifen schwarzes Isolierband verschloss ihm den Mund. Sein Kopf war ihr zugewandt, und seine weit aufgerissenen Augen flehten: Mom , hilf mir . Sein Blick verlangte, dass sie die kurze Entfernung überwand, die zwischen ihnen lag, um ihre Pflicht zu tun und ihn zu retten.
Emily verzweifelte. Nicht
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