5 Tage im Sommer
nur acht Stunden früher von Al Snows Besuch in Fall River gewusst hätten – bevor er nach Hause gefahren war, um sein Schönheitsschläfchen zu machen –, eher die Möglichkeit gehabt hätten, Emily Parkers Leben zu retten. Und dass ihre Söhne jetzt auf dem Weg nach Hause wären und nicht ebenfalls verschwunden.
Amy kniff die Augen zusammen und verdrängte den quälenden Gedanken, dass bereits alles zu spät war. Wenn Mister White – Roger Bell – nach seinem gewohnten Zeitplan arbeitete, war Emily noch am Leben und möglicherweise sogar bei Bewusstsein, und die Jungen, oder zumindest einer von ihnen, hätten noch mindestens bis morgen zu leben.
Amy schaffte es einfach nicht, ruhig zu bleiben. Die Gedanken rasten durch ihren Kopf, sie ging vor der Karte auf und ab, projizierte auf die Konturen der Insel Formen, die es gar nicht gab, verzweifelt bemüht, sich ein klares Bild zu verschaffen.
Sogar Will und Sarah waren mit dem Baby losgefahren, hatten gesagt, sie müssten sich auf die Suche machen, könnten nicht einfach nur warten. Amy sah es vor sich, wie sie die Straßen abfuhren und allen Hinweisschildern auf Bootsanleger folgten. Unaufhaltsam angetrieben von Verzweiflung.
Hunderte Meilen Küste umgaben Cape Cod, mit großen und kleinen Buchten, Flussmündungen und Meeresarmen. Es gab Dutzende registrierter privater Yachthäfen und Hunderte private Anleger, ganz abgesehen von denen, die ohne Genehmigung errichtet worden waren. Und dann gab es da noch die Nachbarinseln Nantucket und Martha’s Vineyard. Die Polizeikräfte beider Inseln waren in höchste Bereitschaft versetzt, und zusätzliche VICAP Agents wurden eingeflogen, um die Bemühungen zu unterstützen, Emily, David und Sam Parker aufzuspüren.
Geary hockte mit den Special Agents Ingram und Jones sowie Sorensen, Kaminer und Tom Delay am Tisch. Amy wusste, dass Geary und Bell auf eine lange gemeinsame Geschichte zurückblickten, aber sie nahm an, dass es unter der Oberfläche auch Ungereimtheiten geben musste und dass Geary jetzt danach suchte. Und dass all sein Bestreben jetzt darauf gerichtet war, zwei Verbrechen aufzuklären: den Serienmord und den Verrat. Wer versteckte sich wirklich hinter dem Mann, der sich als sein Freund ausgegeben hatte? Amy empfand Sympathie für Geary und hoffte, dass er seine Antworten finden würde.
»Er will, dass wir ihn kriegen«, sagte Geary, »und deswegen hat er so viele kleine Hinweise hinterlassen. Er wusste, dass uns die Spur direkt zu ihm führen würde, wenn wir sie erst einmal aufgenommen hatten.«
»Einfach«, sagte Ingram und schüttelte den Kopf.
»Zu einfach.« Sorensen trommelte mit seinem Stift auf die Tischkante.
»Genau«, sagte Geary. »Wenn er bei seinem Muster geblieben wäre, bei den fünf Tagen, dann hätten wir einen Extratag und würden ihn finden.«
»Aber er hat heute zugeschlagen«, sagte Jones. »Einen Tag zu früh, als ob er es nicht erwarten könnte …«
Ingram nickte. »Als hätte er das Gefühl, dass er dieses Spiel jetzt möglichst schnell zu Ende bringen muss.«
»Wir müssen herausfinden, was ihn zu dieser Eile veranlasst hat.« Amy löste sich von der Landkarte und schloss sich der Gruppe an. »Warum? Um zu gewinnen? Oder um ein Bedürfnis zu befriedigen, das tiefer in ihm steckt? Und warum entführt er diesmal zwei Jungen statt nur einen wie sonst?«
»War es Zufall«, fragte Tom, »oder Absicht?«
»Beides ist möglich«, sagte Amy »Aber Roger Bell lässt sich seine Vorgehensweise bestimmt nicht vom Zufall diktieren.«
»Bitte«, sagte Geary, »wir wissen noch nicht mit Sicherheit, dass es Roger ist.«
Amy nickte unwillig. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt darüber zu streiten. »Wenn Mister White die List benutzt hat, ihnen eine Spazierfahrt in der Corvette anzubieten, hätte er sie einzeln einsteigen lassen können. Er hätte nicht gleich beide mitnehmen müssen.«
»Oder er hat sich des älteren Jungen entledigt, da er es ohnehin nur auf solche im Alter von sechs, sieben Jahren abgesehen hat?« Sorensen hielt inne und schüttelte den Kopf angesichts seiner eigenen Vermutung.
»Könnte sein«, sagte Kaminer.
»Mister White hat mit der Ermordung von Ragnatelli bewiesen, dass er auch außer der Reihe tötet, um sein Ziel zu verfolgen«, sagte Amy.
»Das würde bedeuten, dass ein Junge sich auf dem Boot befindet und der andere irgendwo am Straßenrand liegt. Dann werden wir ihn früher oder später finden«, sagte Sorensen, ohne eine Miene zu verziehen.
»Nehmen
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