5 Tage im Sommer
mal ihre Lider ließen sich bewegen. Kein Teil ihres Körpers fügte sich ihrem Willen, allein in ihrem Gehirn sah und hörte und spürte sie alles.
Sammy musste denken, dass sie ihn im Stich ließ, dass sie ihn nicht liebte, dass er ihr gleichgültig war. Dabei wollte alles in ihr ihm helfen. Vergebens. Ihr Körper streckte sich nicht nach ihrem Sohn.
Sams Körper zuckte auf dem Boden. Etwas stimmte nicht. Hatte der Maismann ihm etwa auch irgendeine Spritze gegeben?
Sie hörte die Schritte, aber diesmal kam der Maismann nicht zu ihr. Er ging zu Sam. Ein Paar weißer Bootsschuhe tauchte hinter Sammy auf. Weiße Hosen krümmten sich, und Knie erschienen in ihrem Gesichtsfeld. Der Maismann setzte sich mit überkreuzten Beinen direkt hinter Sam.
Und zum ersten Mal, seit sie sich dort befand, sah sie den Maismann. Und er war es nicht.
Der Mann, der hinter ihrem Sohn saß, war ihr völlig fremd, entsprach nicht einmal ihrer Phantasievorstellung. Dieses Monster, das sie unten in seinem Boot gefangen gehalten hatte wie einen sterbenden Aal. Dieser Freak, der ihr Kind zu seiner Jagdbeute gemacht hatte.
Sams Blick richtete sich auf den Mann direkt hinter ihm. Sein Körper wand sich in heftigen Zuckungen. Der Mann blickte auf ihn hinab und schüttelte den Kopf. Zum ersten Mal hörte sie seine Stimme, nasal und etwas unwirsch.
»Hat deine Mutter dir nie gesagt, dass du nicht mit fremden Menschen sprechen sollst?«
In Emilys Körper raste der reine Hass. Sams Augen waren voller Furcht.
Der Mann sah Sam kopfschüttelnd an, als sei er ungezogen. Dann neigte er den Kopf zur Seite, als überlegte er, wie er sie beide bestrafen sollte.
»Nehmen wir ihm seine Pokémon-Karten weg, oder?«
Sie würde ihn mit Blicken töten.
»Spiele für Sam, Bücher für David.«
Er kannte ihre Namen.
»Und was ist mit Moms Lieblingsbeschäftigung?«
Er stand auf, ging durch den Raum, nahm etwas aus einer Schublade und kehrte zurück. Auf seiner Handfläche lag ein erdbeerrotes Nadelkissen, in dem Hunderte Nadeln säuberlich aufgereiht steckten.
Das Gesicht des Mannes war unbeweglich und tot. Er beobachtete ihre Reaktion.
Emilys Geist war nur noch Angst. Reine Angst.
Das Monster starrte ihr in die Augen. »Wir haben noch Zeit«, sagte es dann mit seltsam sanfter Stimme. »Es hat keine Eile.« Er stand auf und ging zur Luke. Als er sie öffnete, brach das Licht herein, und sie war geblendet. Sie hörte, wie er langsam die Leiter hinaufstieg, die Luke schloss und dann das Boot verließ.
Sie mühte sich angestrengt, Sammy mit ihren Blicken zu sich zu holen, mit ihm zu verschmelzen. Mein Liebling , lass meinen Blick dich halten , komm zu mir in Sicherheit .
KAPITEL 30
I n Manhattan war die Welt konstruiert wie ein Gitternetz, und man brauchte nicht mehr als Grundschulmathematik, um sich zurechtzufinden. Aber hier war es ein Gewirr, keine Straße ging geradeaus, überall waren Kurven. David wusste nicht, wo er war, und fragte sich allmählich, ob Sam nicht gut daran getan hatte zurückzubleiben. Vielleicht hätte er alles ein wenig besser planen sollen. Zum Beispiel ein Fahrrad in einem Versteck bereitstellen und einen Rucksack mit Vorräten mitnehmen. Es war heiß, und er war durstig. Langsam wurde er auch hungrig. Zumindest war er umsichtig genug gewesen, etwas von Dads Bargeld einzustecken.
Dad würde inzwischen vor Zorn aus der Haut gefahren sein. Wie er wohl bestraft werden würde, wenn er nach Hause kam? Wenn er je wieder nach Hause fand. Vielleicht waren sie ohne ihn zurück in die Stadt gefahren und hatten David allein zurückgelassen. David verharrte einen Augenblick, setzte sich ins Gras am Straßenrand und gestand sich ein, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Er hatte Unrecht. Dad würde das Cape niemals ohne ihn verlassen. Er würde ihn suchen und dabei bestimmt ums Leben kommen. Es würde alles Davids Schuld sein, und sie würden keine Eltern mehr haben, sondern bei Grandma leben müssen, die nicht einmal daran denken konnte, Maxi ihre Medizin zu geben. Sie würden Waisenkinder werden, nur weil David so dumm gewesen war, zu glauben, er könnte seine Mutter eher finden als Dad oder die Polizei oder das FBI. Als ob ein elfjähriger Junge jemanden finden könnte, den nicht einmal alle Erwachsenen zusammen finden konnten. Er hatte beim Aikido viel über Selbstvertrauen und Stärke gelernt und über Kämpfe und Vermeidung von Kämpfen; er hatte seinen braunen Gürtel, aber er hatte nicht gelernt, sich klug zu verhalten.
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