52 Verführungen: Ein Paar holt sich die Lust zurück - (German Edition)
Multitasking beweise. Wir weichen jedenfalls ins Bett aus und vollenden unsere Verführung auf traditionellere (und sichere) Weise.
Juli
H erbert und ich sehen uns im West End Hair an. Die heiligen Kühe der Jugendrevolte der 1960er-Jahre – freie Liebe, Nudismus, Marihuana und Aussteigertum – so präsentiert zu bekommen, das bringt mich zum Lächeln. Hair wirkt heute wie ein Historiendrama mit naiven, inzwischen überholten Wertvorstellungen; außerdem sind die rebellischen Forderungen von damals inzwischen weitgehend selbstverständlich.
Als am Schluss das Publikum eingeladen ist, auf der Bühne mitzutanzen, erstarre ich trotzdem auf meinem Platz. Herbert steht sofort oben auf der Bühne. Ich habe Fotos von ihm, auf denen er die Arme in die Luft wirft und sich bestens in die Menge einfügt. Für mich wäre das nichts gewesen. Ich könnte nicht auf eine Bühne steigen und dort tanzen, weil ich viel zu gehemmt wäre; und ganz sicher könnte ich mich nicht vor anderen nackt ausziehen, wie es die Schauspieltruppe
zwischendurch getan hatte, egal, wie schummrig die Beleuchtung wäre.
Ich muss an einen Sommerurlaub denken, den ich mit meiner Mutter verbrachte, als ich sechs Jahre alt war. Sie war damals frisch geschieden, verbrachte die ganzen vierzehn Tage ausschließlich in einem türkisfarbenen Höschen und wurde dabei schokoladenbraun. Ich traue mich ja noch nicht einmal, einen Bikini anzuziehen. Und selbst bei meinen Badeanzügen achte ich noch darauf, dass sie kleine Hosenbeine haben.
Warum bin ich so prüde? Meine Mutter und ihre Generation mussten darum kämpfen, die körperliche Scham abzuschütteln, die man ihnen anerzogen hatte. Und dann komme ich daher, geniere mich für meine nackte Haut, und kann mich noch nicht einmal auf autoritäre Eltern oder gesellschaftliche Zwänge herausreden. Das Gleiche gilt für Sex: Warum habe ich das Gefühl, kämpfen zu müssen, um meine eigenen erotischen Motive zu verstehen, obwohl meine Umgebung mir die Erlaubnis dazu nie verwehrt hat?
Später, als wir in einer Bar hinter der Carnaby Street sitzen und Mojitos trinken, erzähle ich Herbert davon. »Es kommt mir vor, als sei ich gegen eine Mauer geprallt. Bis hierher sind wir mit unseren Verführungen gekommen, und der Sex ist um vieles besser geworden, aber jetzt komme ich irgendwie nicht mehr weiter. Ich suche eher nach sicheren Möglichkeiten, anstatt mich neuen Herausforderungen zu stellen. Diese Mauer aus Befangenheit kann ich fast mit den Händen greifen.«
Er grinst. »Dann macht es dir also Spaß. Das ist doch gut, oder? Wer sagt denn, dass es unbedingt eine Herausforderung sein muss?«
»Es muss auch keine Herausforderung sein. Ich spüre da nur diesen Widerstand. Dabei ist es nicht so, dass hinter der Mauer irgendetwas wartet, das ich tun möchte, mich aber nicht traue. Eher ist es so, dass ich mich nicht vollständig fallen lassen kann. Ich denke immer noch viel zu viel über alles nach.«
Herbert reagiert verständnisvoll, aber ich merke, dass eres nicht wirklich begreift. Er hat keine Hemmungen. Im Prinzip ist er bereit, so gut wie alles einmal auszuprobieren. Bei mir dagegen gibt es immer diesen Impuls, mich zu schützen, mich wie ein Igel zu einer Stachelkugel zusammenzurollen. Ich weiß gar nicht, wovor ich mich fürchte, aber ich weiß, dass da diese Verlegenheit lauert, die ich immer erst abschütteln muss, wenn ich versuche, loszulassen.
Ich ändere den Kurs. »Okay, lass es mich anders versuchen«, sage ich. »Wir haben fast die Hälfte der Verführungen hinter uns. Wenn sie vorbei sind und wir bis dahin keine Struktur haben, an die wir uns halten wollen, was glaubst du, wird dann passieren? Werden wir weiterhin miteinander schlafen und spannende Sache machen?«
Herbert denkt für eine Weile nach. »Ich weiß nicht«, sagt er. »Ich meine, mir haben die Verführungen bisher Spaß gemacht, aber ich habe noch nicht das Gefühl, irgendwo angekommen zu sein. Ich könnte nicht ehrlich behaupten, dass ich dir ständig nachstellen werde, um dich rumzukriegen, sobald sie vorbei sind.«
Da haben wir’s. Genau darum dreht es sich. Meine Hemmungen und Herberts fehlendes Verlangen: zwei Seiten derselben Medaille. Sie bilden ein rätselhaftes Kraftfeld, das wir einfach nicht überwinden können. Doch wir wissen beide instinktiv, dass da auf der anderen Seite etwas ist – für mich die Fähigkeit loszulassen und für Herbert ein Verlangen, das ihn mitreißt, ohne dass er bewusst darüber nachdenken
Weitere Kostenlose Bücher