53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
bringen.“
„Um Gottes willen, sage das keinem anderen! So aufrichtig darf man mit keiner unbekannten Person sein. Wie nun, wenn ich dir schaden wollte?“
„Du mir? Das kannst du ja gar nicht!“
„Meinst du? Du könntest dich da doch sehr leicht getäuscht haben.“
„Gewiß nicht! In deinen Augen und deinen Zügen ist nicht eine Spur von Unwahrheit oder Hartherzigkeit zu lesen.“
„Gut, ich danke dir! Aber wie nun, wenn ich die Frau eines Beamten wäre?“
„Um Gottes willen! Das bist du doch nicht etwa?“
„Glücklicherweise nein. Hast du schon anderen davon erzählt?“
„Kein Wort.“
„So schweig auch fernerhin darüber. Du kannst sonst nicht nur dich und deine Familie, sondern deinen ganzen Stamm in Schaden bringen. Dein Schicksal interessiert mich sehr. Wir werden heute noch mehr miteinander sprechen. Eine unglückliche Liebe ist das Schlimmste und Schwerste, was dem Menschenherzen auferlegt werden kann.“
Gökala zeigte während dieser Worte ein sehr ernsthaftes Gesicht. Karpala warf einen forschenden Blick auf sie und fragte: „Hast du das selbst auch erfahren?“
„Zur Genüge, mein liebes Kind.“
„Und bist die Frau eines Grafen! So bist du wohl unglücklich verheiratet?“
„Nein. Ich bin nicht seine Frau. Ich reise nur unter seinem Schutz. Ich habe niemand auf der weiten Welt, der sich in Liebe meiner annehmen darf. Und diejenigen, mit denen zu verkehren ich gezwungen bin, sind meine ärgsten Feinde.“
„So bist du ebenso unglücklich wie ich. Laß diesen Grafen allein Weiterreisen und bleibe bei mir. Wenn du das wolltest, so solltest du es sehr gut haben, und wir können den ganzen Tag von meinem Georgi reden. Das wäre doch schön! Nicht?“
„Ja“, antwortete Gökala, indem sie ein Lächeln unterdrückte.
Sie waren unterdessen in die Nähe der Stadt gekommen, und der Graf hatte seinen Wagen langsamer fahren lassen, damit die drei anderen ihn einholen möchten.
„Soll ich euch führen?“ fragte Karpala ihre neue Freundin.
„Ich danke dir! Der Graf wird die Wohnung des Kreishauptmanns schon selbst finden. Übrigens gehst du doch nicht gern hin.“
„Ja, freilich. Wie aber kommen wir da zusammen?“
„Ich komme zu euch oder sende dir, wenn ich verhindert sein sollte, einen Boten.“
„Das ist mir lieb, sehr lieb. So laß uns nun scheiden. Ich freue mich außerordentlich, dich kennengelernt zu haben, meine liebe, prächtige Gökala!“
„Und ich verschweige dir nicht, daß ich dich in den wenigen Minuten bereits recht liebgewonnen habe, Karpala. Lebe wohl, wir sehen uns also wieder!“
Die Tungusin ritt nach rechts hinüber, wandte sich aber einige Male um, um grüßend mit der Hand zu winken. Gökala dankte auf dieselbe Weise. Der Graf, der das bemerkte, machte ein sehr finsteres Gesicht dazu.
Er fragte keinen Menschen nach der Wohnung des Ortsoberhauptes, denn er war bereits früher in Platowa gewesen.
Als der Graf vor dem Eingang der Wohnung des Kreishauptmanns halten ließ, kam ein Untergebener herbei.
„Wohnt der Kreishauptmann hier?“ fragte er diesen in hochmütigem Ton.
„Wie du befiehlst, Väterchen.“
„Ist er zu sprechen?“
„Er wird wohl noch schlafen.“
„Wecke ihn und führe uns einstweilen nach der Expedition.“
„Das darf ich nicht.“
„Warum nicht?“
„Es ist mir verboten. Du mußt warten, bis er aufgestanden ist. Du wirst doch wohl im Gasthaus wohnen. Fahre hin. Ich werde dich benachrichtigen, wenn er ausgeschlafen hat.“
„So! Hat er Familie?“
„Ja. Eine Frau, unser Mütterchen, und einen Sohn, unseren Rittmeister.“
„So ist der Rittmeister wenigstens zu sprechen, wie ich vermute?“
„Nein. Auch dieser schläft.“
„Donnerwetter! So schläft ja die ganze Familie! Die Frau wohl auch?“
„Nein. Das Mütterchen ist wach. Ich habe ihr vorhin den Tee vorsetzen müssen.“
„So laufe zu ihr und melde uns!“
„Das darf ich nicht.“
„So! Nun werde auch ich dir bald mitteilen, was du darfst und was nicht. Wenn du nicht augenblicklich gehorchst, lasse ich dich peitschen! Sage diesem guten Mütterchen, der Graf Alexei Polikeff wünsche sich ihr vorzustellen und habe keine Zeit, lange auf Bescheid zu warten!“
Jetzt rannte der Diener davon. Der Graf reichte Gökala seinen Arm und führte sie in das Gebäude. Ein kurzer Blick über den Flur belehrte den Grafen, wo die Wohngemächer zu suchen seien. Sein Scharfsinn führte ihn ganz richtig, und eben, als er an der betreffenden Tür angekommen
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