54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
die Anwesenden gaben demselben ihre Zustimmung. Nur darüber entstand eine Meinungsverschiedenheit, wer die drei Männer belauschen solle. Jeder wollte es sein. Sam machte diesem Widerspruch ein Ende, indem er erklärte:
„Der Mann, der sich dazu eignet, ist bereits gefunden. Es ist ein Herr, den Sie noch kennenlernen werden, ein russischer Offizier.“
Auch daraufhin mußte er eine kurze Erklärung geben, wie er den Oberst Sendewitsch kennengelernt hatte.
„Aber“, fragte Normann, „warum soll gerade dieser Fremde den Lauscher machen und nicht lieber einer von uns?“
„Aus einem sehr triftigen Grund“, antwortete Sam. „Der Pascha und der Derwisch werden sich, weil der mitanwesende Agent Türkisch nicht versteht, wahrscheinlich der russischen Sprache bedienen, und Sendewitsch ist beider Sprachen vollständig mächtig.“
„Aber der Pascha und der Agent haben ihn gesehen, er hat bei ihnen gesessen.“
„Pah! Er wird sich verkleiden. Er zieht Frauensachen an und gilt dann als die Frau des Schließers.“ – – –
Während hier im Familienkreis sich so ergreifende Szenen abspielten und die darauf folgenden Beratungen vorgenommen wurden, saßen die beiden Hauptpersonen, auf die diese Beratungen sich bezogen, drüben in des Agenten Stube.
Sie verhielten sich sehr schweigsam. Alles nötig Erscheinende war besprochen, und so gaben sie still ihren Gedanken und Gefühlen Audienz. Der Pascha befand sich in einem geradezu grimmigen Zustand, und doch war er im höchsten Grad befriedigt, die so lange vergeblich Gesuchten endlich gefunden zu haben. Rache und abermals Rache war das einzige, woran er jetzt dachte.
So saßen sie rauchend und schweigsam beisammen, bis es eine halbe Stunde nach Mitternacht war. Dann brachen sie auf, sich leise aus der Wohnung schleichend, damit die anderen Bewohner des Hauses nicht bemerken möchten, daß der Agent noch so spät einen Ausgang unternehme.
Bereits vorher hatte Sam die Villa Normanns verlassen, um Sendewitsch aufzusuchen. Sie waren nach dem Schloß gegangen und von dem sie erwartenden Schließer eingelassen worden.
Als der Pascha mit dem Agenten an der Wohnung des Malers vorüberging, bemerkte er, daß man drinnen noch wach sei.
„Sie werden die Verlobung feiern“, sagte er. „Schade, daß wir nicht lauschen können!“
„Die Jalousien sind alle heruntergelassen, und übrigens haben wir keine Zeit dazu. Der Schließer erwartet uns bereits.“
Der Agent machte den Führer. Er kannte das Pförtchen genau. Es war verschlossen, als sie dort anlangten.
„Er ist also doch noch nicht da“, flüsterte der Pascha. „Vielleicht hat er sich anders besonnen.“
„Wollen einmal klopfen“, entgegnete der Agent, dann klopfte er leise an die Pforte, und sofort hörten sie, wie von innen ein Schlüssel in das Schloß gesteckt wurde.
„Nun, wer hat recht?“ flüsterte der Agent.
Der Pascha nickte befriedigt.
Der Schließer trat in die offene Pfortenöffnung und hielt sein Gesicht nahe an dasjenige des Agenten.
„Sie sind's“, sagte er in befriedigtem Ton. „Ich dachte schon, Sie kämen nicht. Ich stehe bereits lange hier.“
„Es ist ja erst einige Minuten über eins. Wie steht es? Ist die Luft rein?“
„Ja. Alles ist zu Bett.“
„So beeilen wir uns.“
Schubert wollte eintreten; aber der Schließer behielt die Türöffnung noch inne und fragte:
„Dieser Herr ist es, von dem Sie sprachen?“
„Ja.“
„Ich möchte seinen Namen wissen.“
„Pah! Der tut nichts zur Sache. Und nun, wie steht es? Können wir den Gefangenen sehen und auch mit ihm reden?“
„Ja, unter der Bedingung, daß diese Unterredung in meiner Stube stattfindet.“
„Dahin wollen Sie den Gefangenen holen?“
„Ja. Denn das Gewölbe, in dem der Gefangene steckt, wird nicht nur von mir, sondern auch von den beiden Kerlen revidiert, die ihn hierher transportiert haben. Sie könnten leicht merken, daß jemand bei ihm ist. Und sodann müssen Sie erlauben, daß meine Frau auch dabei sein darf. Ich konnte Ihnen nicht dienen, ohne es ihr zu sagen. Sie brauchen sich übrigens nicht vor ihr zu genieren. Sie liegt krank auf dem Kanapee und hört außerdem sehr schwer. Wenn Sie das erlauben wollen, so können wir nun beginnen.“
„Schön! Ihre Frau geniert uns nicht! Ist sonst noch jemand dabei?“
„Nein. Aber das sage ich ihnen noch: Ich habe die Hunde losgekettet. Wollten Sie etwa mit dem Gefangenen fliehen, so bedarf es nur meines Rufes an die Hunde, und Sie werden
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