54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
gestellt. Machen Sie dann eine einzige Bewegung, so werden Sie zerrissen.“
„Donnerwetter! Die Bestien sind also auf den Mann dressiert?“
„Ja. Also hüten Sie sich! Und jetzt kommen Sie!“
Nun erst ließ der Schließer beide eintreten und verschloß die Pforte hinter sich. Hierauf führte er sie direkt nach seinem kleinen Häuschen und trat mit ihnen in die Stube.
Dieselbe war nur von einem kleinen, trübe brennenden Lämpchen erleuchtet. Die Einrichtung war sehr sauber, aber ebenso einfach, ein Tisch, einige Rohrstühle und ein Sofa.
Auf dem letzteren lag die Frau des Schließers, mit dem Rücken der Stube zugekehrt. Sie hatte einen alten Rock an, einen weiten, dunklen Spenzer, und auf dem Kopf trug sie eine weiße, gehäkelte Haube. Außerdem hatte sie sich das Gesicht verbunden.
Sie bewegte sich nicht, als die drei eintraten. Sie sagte auch kein Wort, als die beiden Fremden grüßten.
„Sie hört es nicht“, entschuldigte der Schließer. „Man muß mit ihr sehr laut reden. Jetzt bitte ich zu warten. Ich werde den Gefangenen holen.“
Der Pascha und der Agent hörten hierauf, daß er die Tür hinter sich verschloß.
Sie saßen nun schweigend nebeneinander, bis sie vernahmen, daß draußen die Haustür wieder aufgeschlossen wurde. Ketten klirrten.
Die Tür ging auf, und der Gefangene trat herein, von dem Schließer gefolgt, der die Tür vorsichtig verriegelte und an derselben stehen blieb.
Der einstige Derwisch mußte der Quere nach hereintreten, weil die lange Eisenstange, die seine Hände auseinanderhielt, ihn verhinderte, den Eingang gerade zu passieren.
„Ibrahim Pascha!“ rief er in türkischer Sprache. „Also doch!“
„Pst! Keinen Namen nennen!“ warnte der Angeredete. „Und reden Sie russisch. Dieser Herr hier, ein Freund von uns, versteht nicht Türkisch. Er wird behilflich sein, Sie aus der Gefangenschaft zu befreien. Und nun sagen Sie mir, wie kommen Sie in eine solche Lage?“
„Das sollen Sie erfahren. Vorher aber muß ich mich setzen. Diese verdammten Fesseln ermüden fürchterlich.“
Der Gefangene ließ sich auf den einzigen noch übrigen Stuhl nieder. Der alte, schlaue Schließer hatte die Sessel so gestellt, daß die Männer möglichst nahe an der scheinbar kranken Frau saßen, die natürlich niemand anders als der verkleidete Sendewitsch war.
Der Gefangene atmete tief auf, knirschte mit den Zähnen und begann:
„Sie wollen wissen, wie ich in diese Lage gekommen bin? Sie können es leicht erraten, durch Steinbach!“
„Ah! Der! Der hat Sie gefangengenommen? Weshalb denn? Doch nicht wegen –“
Der Pascha sprach das Wort nicht aus.
„Ja, wegen nichts anderem“, nickte der Gefangene.
„Unmöglich! Aber, Mann, wie sind Sie ihm denn in die Hände geraten? Wie konnten Sie so unvorsichtig sein! Als Sie mich das letzte Mal in Konstantinopel aufsuchten, gab ich Ihnen Geld, und Sie versprachen mir, dahin zu gehen, wo kein Verfolger Sie entdecken könne.“
„Das habe ich getan. Ich war bis weit hinter Irkutsk.“
Der Derwisch gab nun einen kurzen und drastischen Bericht seiner sibirischen Erlebnisse. Er erzählte, daß er nach Orenburg geschafft worden sei, wo es sich erwiesen habe, daß er nicht Peter Lomonow sei. Von da aus wäre er durch Rußland und die europäische Türkei bis hierher geschleppt worden.
Der Pascha hörte aufmerksam zu und berichtete nun seinerseits von Normann und Tschita, die einander geheiratet hätten, und ebenso daß Hermann von Adlerhorst und Zykyma hier am Ort wohnten.
Der Derwisch horchte auf.
„Ja, staunen Sie nur!“ fuhr der Pascha fort. „Auch Steinbach wird hier wohnen. Er ist identisch mit dem Prinzen Oskar, dem Bruder des Großherzogs.“
„Alle Teufel! Doch mir ist's gleich! Mag er sein, wer er will, ich werde mich an ihm rächen.“
„Wie wollen Sie das anfangen? Jetzt handelt es sich zunächst darum, was Sie anfangen, wenn es uns gelingt, Sie zu befreien.“
„Ich müßte verschwinden, ja; aber fortgehen würde ich nicht von hier, bis ich mich gerächt habe! Steinbach, Sam Barth, Jim, Tim, sie alle, alle müßten daran glauben.“
„Sie denken zu sanguinisch. Sie würden doch erkannt und ergriffen werden.“
„Gewiß nicht. Ich kleide mich als Frauenzimmer an und bleibe hier in der Gegend, bis die Rache vollendet ist.“
Der Derwisch sagte das in einem so festen und entschlossenen Ton, daß man annehmen mußte, er werde sich von diesem Gedanken nicht abbringen lasen.
Der Pascha blickte sinnend vor sich
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