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54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

Titel: 54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bedenken Sie, daß übermorgen der Verfalltag des Wechsels ist. Da muß ich ihn präsentieren. Wenn Sie mir also morgen den Gefangenen nicht bringen, ist's übermorgen zu spät. Dann könnte ich Ihren Sohn beim besten Willen nicht retten.“
    Der Agent hatte das Seinige getan und seinen Zweck erreicht. Er steckte den Wechsel wieder zu sich und wandte sich nun in russischer Sprache zum Pascha:
    „Es ist geglückt. Sie hören, wie die Sachen stehen. Sind Sie zufrieden?“
    „Ich muß, obgleich es mir viel lieber wäre, wenn ich den Gefangenen gleich jetzt mitnehmen könnte.“
    „Das geht nicht an. Übrigens wüßten wir jetzt gar nicht, wohin mit dem Gefangenen. Wir müssen uns nach einem guten Ort umsehen, wo er sicher ist. Hm. Da fällt mir ein, eine halbe Stunde von der Stadt entfernt gibt es einen allein liegenden, kleinen Meierhof. Vielleicht paßt dieser. Ich werde einmal mit der Frau sprechen. Sie ist eine Witwe, eine freundliche Frau. Vielleicht bringe ich sie dazu, auf meinen Wunsch einzugehen.“
    „Wie aber wollen Sie es anfangen?“
    „Sehr einfach. Der Gefangene ist ein Verwandter oder vielleicht eine Verwandte von mir. Gemütskrank. Der Arzt hat die tiefste Einsamkeit und Seelenruhe angeordnet. Alle fremden Gesichter regen sie auf, darum muß sie möglichst unbehelligt bleiben.“
    „Sie sind wirklich ein höchst pfiffiger Kopf. Aber es fragt sich nur, ob er das nötige Geschick, seine Rolle durchzuführen, hat.“
    „Ich? Das Geschick?“ lachte der Derwisch. „Da brauchen Sie keine Sorge zu haben.“
    „Nun, dann sind wir für heute abend zu Ende. Morgen punkt zehn warten wir an dem Pförtchen.“
    „Ich verlasse mich darauf. Aber da fällt mir noch etwas ein, etwas sehr Wichtiges. Wenn ich hier um zehn Uhr entkomme, kann ich doch nicht nach dem Meierhof. Das würde dort unbedingt auffallen.“
    „Das überlegen wir uns schon noch“, antwortete der Agent. „Am klügsten ist es, wir spazieren nach einer entfernten Bahnstation und tun dann so, als ob wir mit dem ersten Frühzug hier ankommen. Ich werde dafür sorgen, daß vom Meierhof ein Geschirr hier ist, um Sie abzuholen. Noch besser ist's, wir steigen auf der letzten Station aus und lassen uns von dort abholen. Da bekommt uns hier gar niemand zu sehen.“
    Damit waren die beiden anderen einverstanden, und der Schließer empfing die Mitteilung, daß die Unterredung für heute zu Ende sei.
    Er brachte zunächst den Gefangenen in das Gewölbe zurück, wobei ihm von dem eingeweihten Schloßpersonal natürlich nicht das mindeste in den Weg gelegt wurde. Dann begleitete er die beiden Lauscher wieder durch den Park und zu der Pforte hinaus.
    Der Schließer kehrte in seine Stube zurück.
    An dem Tisch saßen nun Sam, der Dicke, und der Russe Sendewitsch. Der letztere hatte die Verkleidung bereits abgelegt.
    „Das ist prächtig gelungen“, lachte Sam. „Wenn diese Esel wirklich nur halb so klug wären, wie sie sich halten, hätten sie mich entdecken müssen.“
    Die eine Ecke der Stube wurde nämlich fast ganz von einem riesigen Kachelofen ausgefüllt. Das Häuschen, das der Schließer bewohnte, war in jener Zeit, in der man sich derartiger Öfen bediente, gebaut worden. Hinter demselben war Sam versteckt gewesen, und zwar trotz seiner Korpulenz so vortrefflich, daß er gar nicht bemerkt worden war.
    Er hatte zusammengeduckt dagelegen, von einem alten Tuch überdeckt. Und erst dann, als nicht mehr zu erwarten war, daß sie nachschauen würden, hatte er sich in die bequemere sitzende Stellung aufgerichtet.
    Jetzt freute er sich königlich, daß sein listiger Anschlag von solchem Erfolg begleitet gewesen war. Er lachte fröhlich vor sich hin und meinte in seiner eigenartigen lustigen Weise:
    „Die Menschen wollen Gefangene befreien und Frauen rauben. Sie haben nicht einmal das Geschick, einen Hund vom Ofen zu locken oder eine Katze zu entführen. Jetzt sind sie ganz glücklich, daß ihr Werk schon halb gelungen ist. O, wir werden dafür sorgen, daß es ganz gelingt.“
    Als Sam und Sendewitsch nun Miene machten, aufzubrechen und sich zu Normann zu begeben, fragte der Schließer:
    „Wollen Sie mir nicht für morgen Ihre Befehle erteilen, Herr Barth?“
    „Da gibt es gar nichts zu befehlen. Sie wissen ja, was Sie zu tun haben. Sie liefern den Schuften den Gefangenen aus und nehmen dafür den Wechsel in Empfang. Sollte ich meinen Plan ändern, so komme ich, es Ihnen mitzuteilen. Erhalten Sie aber keine solche Benachrichtigung, so lassen Sie den

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