54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
Kerl frei.“
„Wie habe ich mich des Tags über zu ihm zu verhalten?“
„Sie tun heimlich freundlich mit ihm. Stecken Sie ihm etwas gutes Essen zu, irgendeine Delikatesse, auch einige Zigarren, das wird ihm Vertrauen zu Ihnen machen. Und nun wollen wir gehen. Es gibt hier nichts mehr zu besprechen.“
Sam wurde nun mit dem Oberst durch das Pförtchen, durch welches der Schließer auch die beiden Kumpane gehen ließ, hinausgelassen. Das ging so leise vor sich, daß selbst auf nur einige Schritte hin nicht das geringste Geräusch zu hören war. Dann schlichen sich die beiden der Mauer entlang und der Straße zu, die den Schloßberg hinabführt.
Sie wollten nach Normanns Villa und hielten sich auf dem Weg dorthin stets so im Schatten, daß sie nicht gesehen werden konnten.
Nur wenige Laternen brannten noch. Ein einsamer Wanderer kam ihnen entgegen, aber auf der anderen Seite der Straße.
„Stillstehen!“ flüsterte Sam seinem Begleiter zu. „Drücken Sie sich hier eng an den Zaun. Die Laterne beleuchtet uns nicht. Wir können nicht gesehen werden.“
Sie verhielten sich ruhig. Der Mann ging jenseits langsam vorüber. Er kam dabei in den Kreis des Laternenlichtes.
„Kennen Sie ihn?“ flüsterte Sam.
„Ja. Es ist der Pascha.“
„Er hat den Agenten nach Hause begleitet. Wie unvorsichtig von den beiden Kerlen! Nun kommt es darauf an, zu erfahren, ob der Agent auch wirklich schon daheim ist, oder ob er sich vielleicht im Garten herumschleicht. Er darf uns natürlich nicht zu Normanns kommen hören. Gehen wir nach seiner Wohnung. Aber treten Sie leise auf.“
Sie bewegten sich vorsichtig weiter. Als sie die Villa Normanns, dessen Grundstück eine Ecke bildete, erreichten, huschten sie links ab. Bald bemerkten sie in des Agenten Wohnung Licht, und da die Gardinen nicht genau schlossen, sahen sie sogar seine Gestalt. Er war barhäuptig und hatte auch schon den Rock ausgezogen. Sie bemerkten ganz deutlich, daß er sich soeben seiner Halsbinde entledigte.
„Der ist daheim und geht nicht wieder fort“, meinte Sam. „Wir sind sicher. Aber dennoch dürfen wir bei Normanns nicht klingeln, das könnte ihm auffallen. Wir steigen über den Zaun.“
Sie stiegen nun leise über und huschten nach dem Eingang des Hauses. Dieses letztere zeigte keine Spur von Licht. Die Läden waren verschlossen, denn der Agent sollte nicht ahnen, daß die Bewohner alle noch wach und munter seien. Sam klopfte leise an der Tür, und es wurde sofort geöffnet. Man hatte ihn bereits mit Ungeduld erwartet.
Sie saßen alle im Salon. Die erste Aufregung des Wiedersehens war vorüber, man hatte sich einstweilen wenigstens oberflächlich die gegenseitigen Leiden und Erlebnisse mitgeteilt, und wenn die Herzen auch noch lange nicht zur Ruhe gekommen waren, so war doch die nötige Fassung vorhanden, Sams Bericht entgegenzunehmen und die darauf bezüglichen Beschlüsse zu fassen.
Was für Beschlüsse das waren, das sollte sich bereits am nächsten Morgen zeigen. – – –
Der Agent Schubert stand sehr zeitig auf, um mit dem frühen Morgenzug nach der Residenz zu fahren. Er kam gerade zur rechten Zeit, sich ein Retourbillet zu lösen und in ein Coupé zweiter Klasse zu steigen.
Er hatte eine Dame, die einsam und wartend in der Nähe des Eingangs zum Bahnhofsgebäude stand, gar nicht beachtet. Als sie ihn kommen sah, trat sie zurück und ließ ihn vorüber. Dann, als er sein Coupé bestiegen hatte, nahm sie in einem solchen dritter Klasse Platz.
Sie war vielleicht in der Mitte der Zwanziger, sehr hübsch und von vornehmem Aussehen. Man mußte der Meinung sein, daß sie unbedingt den besseren Ständen angehöre. Wirklich rückten auch die Passagiere, die bereits in dem Coupé saßen, respektvoll zusammen, denn eine Dame in Schleier und grauseidenem Reisekleid ist in der dritten Klasse eine Seltenheit.
Als der Schaffner erschien, um die Billets zu koupieren, war er sehr verwundert, als er von ihr ein solches zweiter Klasse erhielt. Da sie aber so vornehm mit der Hand winkte, schwieg er. Sie mochte ihren besonderen Grund haben, dieses Coupé gewählt zu haben.
In der Residenz angekommen, ließ sie erst die anderen aussteigen, blieb auch dann noch eine kurze Zeit im Wagen und blickte vorsichtig zum Fenster hinaus, um den Agenten zu beobachten. Als derselbe den Perron verlassen hatte, stieg sie aus und ging ihm nach. Er nahm eine Droschke und fuhr fort. Sogleich bestieg auch sie eine solche und gab dem Kutscher den Befehl, ihm zu folgen
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