54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken
England und Besitzer ungezählter Millionen.“
„Aber wie kommt dieser mir völlig unbekannte Herr dazu, mich, einen völlig Unschuldigen, zu insultieren?“
„Das weiß ich leider nicht, mein Herr. Es steht nun bei Ihnen, wie Sie sich zu dieser allerdings großartigen Beleidigung verhalten werden.“
„Zunächst nehme ich an, daß der Herr entweder geistig gestört ist, was bei Engländern zuweilen vorkommen soll, oder daß er sich geirrt hat. Eine absichtliche Provokation erscheint als ausgeschlossen. Die Entschuldigung und Ehrenerklärung wird also nicht ausbleiben. Verweigert man mir diese aber, nun, dann wird die Sache freilich zu einer cause célèbre Ihres Badeorts werden.“
Hierauf bezahlte der Pascha, ging und wandte sich dem Weg nach der Höhe zu, auf dem der Agent ihm sehr bald folgte.
Lina war noch nicht da.
Der Pascha befand sich in einer geradezu unbeschreiblichen Stimmung. Wut, Scham, Rache und alle ihnen verwandten Regungen kochten in seinem Inneren. Er hatte die Hände über die Brust gekreuzt, trat dem Agenten mit blitzenden Augen entgegen und fragte zischend:
„Haben Sie sich den Kerl genau angesehen?“
„Natürlich! Den hätte man ja gar nicht übersehen können, selbst wenn der beispiellose Überfall unterblieben wäre.“
„Er muß sterben, unbedingt sterben! Und zwar bald!“
„Verdammt! Das ist eine dumme, eine sehr dumme Geschichte. Es war also wirklich dieser englische Lord?“
„Ja. Ich erkannte ihn gleich.“
„So hat Lina auch ihn damit gemeint.“
„Welche Lina?“
„Eine Bekannte von mir, der wir vertrauen dürfen. Sie will sich an den Normanns rächen und wird uns einige Warnungen zugehen lassen. Darum habe ich sie hierherbestellt. Sie muß alle Augenblicke kommen.“
„Wie?“ fragte der Pascha. „Ein Frauenzimmer haben Sie eingeweiht? Ohne meine Erlaubnis? Wie lange kennen Sie dieselbe denn?“
Der Agent hätte sehr gern eine lange Zeit angegeben, aber er mußte befürchten, daß diese Unwahrheit entdeckt werde, darum antwortete er der Wahrheit gemäß:
„Allerdings erst seit heute.“
„Was? Seit heute? Und da wollen Sie sie kennen und sogar für sie garantieren?“
„Oh, es gibt eben Menschen, die man sofort und beim ersten Zusammentreffen durchschaut.“
„Nun, so will ich mich einmal auf Ihren Scharfblick verlassen und ihr auch vertrauen. Aber was haben Sie denn für Veranlassung, ihr ein so großes Vertrauen zu schenken? Etwa nur wegen ihres Gesichtes?“
„Zunächst ja, und dann auch wegen ihres Verhältnisses zu den Leuten, mit denen wir zu tun haben. Sie haßt sie alle.“
„Warum?“
„Sie ist Normanns Verlobte gewesen.“
„Ah, das ist allerdings etwas anderes!“
„Und er hat sie verlassen.“
„Das verzeiht freilich kein Weib.“
„Seit jener Zeit sinnt sie auf Rache. Sie hat sich in seine Familie Eingang verschafft und ist scheinbar die Freundin von Tschita und Zykyma geworden. Sie hat sich das Vertrauen aller errungen und nur auf den Augenblick gewartet, dasselbe zu täuschen.“
Der Pascha lachte befriedigt vor sich hin und sagte:
„Das muß ein famoses Weibsbild sein!“
„Unvergleichlich!“
„Hm! Das sagen Sie in diesem Ton. Interessieren Sie sich vielleicht auch persönlich für sie?“
Der Agent ließ eine kurze Zeit vergehen, bevor er antwortete:
„Sie ist allerdings ganz danach geschaffen, es einem anzutun.“
„Das beruhigt mich. Wenn Sie wirklich reelle Absichten haben, und diese sollten sich verwirklichen, so haben wir freilich von ihr keinen Verrat zu befürchten.“
„Verraten wird sie uns auf keinen Fall.“
„Glauben Sie, Eindruck auf sie gemacht zu haben?“
„Fast möchte ich mir schmeicheln.“
„So eilen Sie! Je eher Sie darüber Klarheit erhalten, desto eher erfahren wir, daß wir ihrer sicher sind. Wenn sie ja sagt, so – so – so kommt mir ein Gedanke. Gehen Sie mit mir nach der Türkei! Ich biete Ihnen dort eine sichere, sehr angenehme Lebensstellung. Bei mir hätten Sie eine Zukunft. Natürlich setze ich voraus, daß auch die Dame mit Ihnen geht.“
„Als meine Frau?“
„Ja, denn nur in diesem Fall sind wir ihrer sicher. Und übrigens hätte ich da für Tschita und Zykyma unterwegs eine Begleiterin. Sie auch mit – dann sind wir sicher, daß wir diese beiden ohne große Störungen nach Konstantinopel bringen.“
„Donnerwetter, Sie rechnen gut!“
Sie standen schon längst oben auf der Kuppe des Berges neben der bereits erwähnten Bank. Der Agent blickte eine
Weitere Kostenlose Bücher