55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
gestern die Ohrfeigen von mir erhielt? Ist er vielleicht mit ihr verwandt? Ah, pah! Wie viele Namen sind gleichlautend. Wer wird gleich an so etwas denken!“
In seiner Wohnung angelangt, nahm er ein Buch zur Hand und setzte sich auf das Sofa. Aber eigentümlich! Das Lesen wollte nicht vonstatten gehen. Er hörte immer den eigentümlichen ernsten Klang ihrer Stimme, und wenn er sich Mühe gab, seine Aufmerksamkeit auf die Lektüre zu konzentrieren, so zogen sich die Buchstaben zusammen und bildeten ein Gesicht, so schön, so rein und mädchenhaft, gerade wie Margot es gehabt hatte.
Er legte das Buch fort, stand auf und wanderte im Zimmer hin und her.
„Ich glaube, dieses Mädchen hat es mir angetan“, sagte er. „Eine Französin! Sind die Französinnen mir nicht als leicht, flüchtig, untreu geschildert worden? Und nun finde ich ein solches Gesicht, ein Gesicht, auf welches man Häuser bauen könnte! Ich werde keinem Menschen davon erzählen, denn ich würde ausgelacht. Die Französinnen sind Champagner, Esprit, Mousseux; sie sind nur zum Vergnügen da. Ein Deutscher macht andere Ansprüche!“
Aber trotz dieser Gedanken konnte er das Gesicht und den Ton dieser Stimme nicht loswerden. Er frühstückte, aber ohne Gedanken, fast ohne zu wissen, was er aß. Er konnte die drei Uhr gar nicht erwarten; er wollte sich dies zwar nicht eingestehen, aber als er in der Rue d'Ange vor der betreffenden Tür stand und nach der Uhr blickte, da bemerkte er, daß er über eine Viertelstunde zu früh gekommen sei. Er mußte einstweilen weiter gehen, um diese Frist noch verstreichen zu lassen.
Aber mit dem Glockenschlag erreichte er die Nummer zehn. Er fand, daß die erste Etage des Hauses in zwei Wohnungen geteilt sei. Sein erster Blick fiel auf die Tür rechts. Da las er das Schild ‚Veuve Richemonte‘. Das war jedenfalls Margots Mutter. Also Witwe war dieselbe? So besaß Margot keinen Vater mehr? Dies war vielleicht eine Erklärung für den Ernst, welcher ihr ganzes sonst so liebliches Wesen umfloß.
Er klingelte. Ein Mädchen erschien. Er nannte seinen Namen und wurde eingelassen.
Das Mädchen öffnete ihm die Tür eines Salons, dessen Ameublement zwar sehr anständig aber nicht herrschaftlich reich zu nennen war. Auf einer Chaiselongue ruhte eine Dame, in welcher er sofort Margots Mutter vermutete. Sie war einfach schwarz gekleidet. Ihr Haar war voll, schimmerte aber bereits in das Grau hinüber. Die Züge dieser Dame waren sanft und trugen jenen passiven Zug, welcher auf eine Verstimmung des Gemütes, auf ein stilles, verschwiegenes Leiden schließen läßt. Ihr dunkles Auge ruhte forschend auf dem Eintretenden. Sie erhob sich bei seiner respektvollen Verneigung ein wenig aus ihrer liegenden Stellung und sagte:
„Seien Sie mir willkommen, Monsieur! Sie müssen verzeihen, daß meine Tochter noch nicht zugegegen ist, um Sie zu empfangen, aber ich habe es vorgezogen, Ihnen zunächst eine aufrichtige Bemerkung zu machen. Nehmen Sie Platz!“
Er setzte sich, während ihr Auge noch immer auf ihm ruhte, als ob sie ihm bis in die Tiefe seiner Seele blicken wolle. Welch ungewöhnlicher Empfang war dies? fragte er sich. Was hatte sie ihm zu sagen, bevor sie ihrer Tochter den Eintritt gestattete? Er sollte es gleich hören, denn die Dame begann:
„Sie haben sich meines Kindes angenommen, und mein Mutterherz ist Ihnen natürlich dankbar dafür. Margot hat gewünscht, daß ich Sie kennenlernen sollte, aber ich weiß nicht, ob Sie sich vielleicht enttäuscht fühlen werden. Sie sind natürlich gewohnt, sich die Pariser Welt als heiter, gern genießend und leichtlebig zu denken. Sie mögen bis zu einem gewissen Punkt recht haben. Sie sind Offizier. Diese Herren machen gern die Bekanntschaft junger Damen. Es ist dies eine Art von Sport für sie; sie wollen sich unterhalten; sie wollen tändeln; sie wollen sich ihrer Eroberungen rühmen. Ich habe diesen Sport nie gutheißen können; ich habe Margot diesen Kreisen stets ferngehalten. Ich liebe mein Kind; es ist so gut, und es soll nicht unglücklich werden. Das ist der heißeste Wunsch meines Herzens –“
Sie hielt inne, wie um zu überlegen, ob sie nicht zu viel gesagt habe, ob sie nichts Beleidigendes ausgesprochen habe. Es dünkte ihm, als hätte sie sagen wollen:
„Ich liebe mein Kind, und es soll nicht unglücklich werden; nicht so unglücklich, wie seine Mutter ist.“
Sie fuhr fort:
„Ich habe Margots Wunsch erfüllt. Sie hat die Einladung ausgesprochen, und es
Weitere Kostenlose Bücher