55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Lauscherpostens in seinem Zimmer und des geheimen Eingangs im Parkhäuschen, das Liebesabenteuer mit der Baronin und endlich die Mordszene in der Wohnung des Direktors. Das war mehr als genug an einem Tag.
Am meisten beschäftigte ihn die letzte Szene. Sollte er den Mörder anzeigen? Moralisch hatte er jedenfalls die Verpflichtung dazu; aber waren die Gründe der Klugheit nicht noch zwingender als diejenigen des Gewissens? Sollte er seine heutigen Errungenschaften alle opfern und das Gelingen seiner wichtigen Sendung zur Unmöglichkeit machen, um einen Toten zu rächen, dessen Leben nicht zurückgerufen werden konnte? Durfte er Marions Großvater als Mörder an den Pranger stellen? Würde man seiner Aussage Glauben schenken? Er war ein verhaßter Deutscher und der Angeklagte ein Offizier der berühmten Garde, ein Ritter der Ehrenlegion! Konnte der Deutsche Beweise bringen? Man konnte sich zwar von dem Vorhandensein der geheimen Tür überzeugen, aber was weiter? Der sicherste Beweis wären die gezeichneten Banknoten gewesen; aber wo hatte der Alte sie versteckt? Er hatte sie dieser Zeichnung wegen ganz sicher an einem Orte verborgen, wo man sie nicht finden konnte. Übrigens war der Ermordete des allen wert? Er war ein Feind Deutschlands gewesen und sodann ein Verräter seines eigenen Vaterlandes geworden!
Was war das doch für eine Familie, diese Sainte-Maries! War Marion, die Heißgeliebte, wirklich edler als die anderen?
Diese Gedanken gingen Müller wirr im Kopf herum, bis er endlich einschlief; aber noch im Schlafe peinigten sie ihn, und als er erwachte, fühlte er sich mehr ermattet als gestärkt von der nächtlichen Ruhe. –
Bereits am frühen Morgen war auch der Kapitän wach. Er ließ mehrere seiner besten Leute aus der Fabrik kommen, um sie nach der Mine suchen zu lassen, aber all ihr Scharfsinn war vergebens. Es wurde dem alten, furchtlosen Mann doch ängstlich zumute. Wenn irgend jemand nichtsahnend die verhängnisvolle Leitung berührte, so war das fürchterlichste Unglück unvermeidlich. Da kam ihm ein Gedanke.
„Dieser Monsieur Müller hatte so feine Zensuren in allen Wissenschaften. Ob nicht er entdecken könnte, was die anderen nicht zu finden vermögen?“
So dachte er und ließ nach dem Deutschen schicken. Müller kam. Der Alte empfing ihn mit einer ganz ungewöhnlichen Freundlichkeit.
„Monsieur, haben Sie auch Elektrotechnik studiert?“
„Ein wenig, gnädiger Herr“, antwortete der Gefragte, welcher sogleich ahnte, aus welchem Grund diese Frage an ihn gestellt wurde.
„Wissen Sie, daß man Pulverminen vermittels der Elektrizität entzünden kann?“
„Sehr wohl, Herr Kapitän.“
„Ist eine solche Mine leicht zu zerstören oder die Leitung leicht zu finden und zu vernichten?“
„Das kommt ganz auf die Umstände an. Ich habe als Techniker bereits öfters Glück gehabt“, antwortete Müller und sagte damit die Wahrheit, da er früher bei dem Geniekorps gestanden hatte.
„Ah, Monsieur, da muß ich Ihnen Mitteilung machen; Sie haben diesen Direktor gekannt, welcher sich erschossen hat?“
„Nur höchst flüchtig gesehen.“
„Nun, dieser Mann hatte den schrecklichen Plan, meine Eisenwerke in die Luft zu sprengen. In seinem Zimmer soll sich die Leitung befinden. Sie ist jedoch nicht zu entdecken. Wollen sie einmal Ihren Scharfsinn versuchen?“
„Ich stehe Ihnen sehr gern zu Diensten, gnädiger Herr.“
„So kommen Sie!“
Sie begaben sich miteinander nach der Wohnung des Erschossenen. Es schauerte Müller, als er da eintrat. Die Blutflecke hatten zwar weggewaschen werden sollen, waren aber noch nicht gewichen. Dort befand sich die geheime Tür, und hier stand der Schreibtisch, auf welchem das schauerliche Ende des Toten unterschrieben worden war.
„Gibt es eine Leitung hier, so ist sie nicht vorn, sondern hinten zu suchen“, sagte Müller.
Der Alte nickte mit sehr zufriedener Miene und sagte:
„Ganz meine Meinung, Monsieur. Suchen Sie!“
Müller ließ den forschenden Blick umherschweifen und trat dann schnell zu der altmodischen Lyoner Wanduhr, welche rechts neben dem Schreibtisch an der Wand hing. Sie hatte ein schwarzes, wurmzerfressenes Gehäuse.
„Sehen Sie etwas von der Leitung?“ fragte der Alte.
„Ich glaube sie gefunden zu haben, will mich aber vorher überzeugen.“
Er schob den Tisch an die Uhr, setzte einen Stuhl auf denselben, und stieg dann auf den letzteren, so daß er den Raum zwischen der Decke des Zimmers und dem oberen Boden des
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