55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Wollen Sie die hunderttausend bezahlen oder nicht?“
„Keinen einzigen Franken, keinen Sou.“
„So passen Sie auf, wie es krachen wird.“
Er sprang nach dem hinteren Teil des Zimmers, wo der Kapitän stand.
„Ja, passen Sie auf, wie es krachen wird“, antwortete dieser. „Aber nicht meine Eisenwerke werden in die Luft gehen, sondern Ihr dummer Kopf!“
Er hatte im Nu die Pistole hervorgezogen und drückte ab. Der Direktor stürzte mit zerschmettertem Schädel zu Boden. Sein Mörder aber bückte sich zu seinem Opfer nieder, um sich zu überzeugen, daß es tot sei, und trat dann nochmals an den Schreibtisch, um das Dokument so zu legen, daß es sofort in die Augen fallen mußte. Das Geld hatte er bereits eingesteckt. Dann eilte er durch die verborgene Tür hinaus und brachte das Täfelwerk wieder in Ordnung.
Traf er dort den Deutschen an, welcher dagestanden und alles gehört und gesehen hatte? Nein! Müller hatte natürlich keine Ahnung gehabt, daß diese Unterredung einen solchen Verlauf nehmen werde. Besonders der letzte Teil hatte sich mit einer so rapiden Schnelligkeit entwickelt, daß der Mord zehnfach schneller ausgeführt wurde, als er gelesen werden kann. Sollte der Deutsche beispringen, da nun doch nichts mehr zu ändern war? Nein; das wäre die allergrößte Unklugheit gewesen. Er mußte vor allen Dingen an seine Aufgabe denken; es galt zunächst, unbemerkt fortzukommen. Kaum war der Schuß gefallen, so riß Müller seine Laterne hervor und stieg in fliegender Eile die engen Treppen hinab, denn er sagte sich, daß auch der Kapitän das Zimmer verlassen werde, da der Schuß ja alle Bewohner des Schlosses aus dem Schlaf wecken mußte.
Er kam glücklich unten an, wo die geheimen Treppen alle zusammenführten, und eilte in großen Sprüngen den unterirdischen Gang entlang nach dem Parkhäuschen zu. Nachdem er dort den geheimen Eingang in Ordnung gebracht hatte, verlöschte er die Laterne, ohne welche eine so schnelle unterirdische Flucht eine Unmöglichkeit gewesen wäre, und eilte dann dem Schloß zu.
Dort angekommen, sah Müller, daß bereits viele Fenster erleuchtet waren, doch befand sich zu seiner Freude noch niemand im Hof. Er schwang sich am Blitzableiter empor. An den Fenstern der zweiten Etage angekommen, warf er einen Blick in das Zimmer des Kapitäns. Dieser trat eben unter die Tür, mit ungekämmtem Haar und Bart, in Schlafrock, Nachthosen und Pantoffeln, das Nachtlicht in der Hand, und examinierte einen Diener. Wer den Alten so sah, der schwor darauf, daß er direkt aus dem Bett komme. Es wollte dem Deutschen vor diesem Alten grauen.
Der Doktor langte glücklich und unbemerkt auf dem Dach und dann auch in seinem Zimmer an, wo er sich schleunigst seiner Verkleidung entledigte und sich so anzog, daß er für einen aufgestörten Schläfer gehalten werden mußte, der in der Eile nur die allernötigsten Kleidungsstücke angelegt hatte.
Das Zimmer des Direktors war voller Menschen, ebenso der Platz vor demselben. Der Kapitän hatte bereits nach den Herren von der Justiz geschickt, welche sich heute im Schloß befanden. Diese kamen und fanden das letzte Schreiben des Toten.
Der Kapitän wurde gefragt; er erklärte, daß er gar nicht wisse, ob Geld angekommen sei, man solle die Bücher nachschlagen. Der Tatbestand wurde sofort gerichtlich aufgenommen und die Leiche aus dem Schloß geschafft. Dann suchte man die unterbrochene Ruhe wieder auf.
Auch die Baronin war vom Schuß erwacht und nach der Unglücksstätte geeilt. Doch mochte sie die Leiche nicht sehen. Der Tod dieses Mannes erschütterte sie, doch nur für einen Augenblick; im nächsten dachte sie bereits an den geheimnisvollen Offizier, an dessen Herzen sie gelegen hatte. Als sie sich wieder nach ihrem Zimmer begeben wollte, traf sie auf der Treppe den Kapitän. Da kein Mensch zugegen war, konnte er es nicht unterlassen, ihr zuzurufen:
„Ein schöner Geliebter. Nicht, Madame?“
Sie wich vor ihm zurück, streckte abwehrend beide Hände aus und sagte:
„Mörder! Aber es wird an den Tag kommen!“
Ein halblautes Hohnlachen war die Antwort des hartgesottenen Alten, der mit so kalter Berechnung ein Menschenleben vernichtet hatte. –
Was Müller betrifft, so konnte er lange Zeit keinen Schlaf finden. Dieser erste Tag auf Ortry war einer der ereignisreichsten seines Lebens gewesen. Erst die Unterredung mit der Wirtin, dann die Rettung Alexanders, sein eigener Empfang, seine Prüfung, die Entdeckung des verborgenen
Weitere Kostenlose Bücher