56 - Die Liebe des Ulanen 02 - Napoleons letzte Schlacht
dringend verdächtig sind“, fuhr er in barschem Ton fort.
Sie gewann es auch jetzt über sich, zu schweigen. Dies steigerte seinen Zorn in der Weise, daß er nahe an sie herantrat und ihr zurief:
„Haben Sie das Sprechen verlernt, Madame! Man wird rasch genug Mittel finden, Sie zu Worte zu bringen.“
Auch diese rüde Drohung würdigte sie keiner Antwort. Da mischte sich Reillac in die Angelegenheit, indem er Richemonte beim Arm ergriff und zurückzog.
„Dieses Zimmer hat nur den einen Ausgang“, sagte er. „Der Posten hat gesagt, daß Madame es nicht verlassen habe, und so meine ich, daß wir es glauben können!“
„Möglich!“ antwortete der Kapitän. „Aber ich bin gewöhnt, Antwort zu erhalten, wenn ich frage.“
„Lassen wir das jetzt. Wir versäumen damit nur ganz unnütz die kostbare Zeit. Jedenfalls steht der junge Baron mit im Bunde.“
„Oh, das ist nicht nur möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich. Also schnell zu ihm. Und wehe ihm, wenn ich ihn schuldig finde.“
Sie verließen das Gemach und begaben sich nach den Parterreräumlichkeiten, welche der Baron bewohnte. Auch hier berichtete der Posten, daß der Gefangene das Zimmer nicht verlassen habe. Vor den Fenstern der Wohnung hatte ein zweiter Soldat Wache gehalten, und da auch dieser aussagte, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, so hätte man eigentlich die Unschuld des Barons für erwiesen achten können, aber dennoch drangen die beiden ohne Gruß und Anmeldung in dessen Zimmer ein.
Er lag auf dem Sofa und schien die Nacht schlaflos zugebracht zu haben. Als die beiden erschienen, gab er seine liegende Stellung auf.
„Sie sind beschuldigt, Mitwisser eines Ereignisses zu sein, welches eine für Sie sehr strenge Strafe nach sich ziehen kann“, sagte der Kapitän rauh. „Ich hoffe, daß Sie diese Strafe dadurch zu mildern suchen, daß Sie mir meine Fragen aufrichtig und reuevoll beantworten.“
Der Baron sah den Sprecher ganz erstaunt an.
„Reuevoll!“ sagte er. „Ich bin mir bewußt, nichts getan zu haben, was ich zu bereuen hätte.“
„Das wird sich finden. Haben Sie während der verflossenen Nacht dieses Zimmer verlassen?“
„Nein.“
„Es ist aber jemand bei Ihnen gewesen?“
„Kein Mensch.“
„Oder Sie haben wenigstens mit irgend jemand Zeichen gewechselt oder in irgendeiner anderen Weise sich mit ihm in Verbindung gesetzt?“
„Nein.“
„Wollen Sie wirklich leugnen?“
„Ich brauche nicht zu leugnen.“
„Sie wissen aber, was während dieser Nacht geschehen ist?“
„Ich weiß nur, daß es mir während der Nacht gelungen ist, ein Buch bis zu Ende zu lesen.“
„Versuchen Sie nicht, mich zu täuschen. Sie haben gelesen; Sie sind also stets wach gewesen?“
„Allerdings.“
„Nun, das genügt nicht nur, unsern Verdacht zu bestärken, sondern es stellt sogar Ihre Mittäterschaft außer allen Zweifel.“
„Sie sprechen in Rätseln, Monsieur. Mittäterschaft! Was ist denn geschehen, woran ich teilgenommen haben soll?“
„Gut, ich werde es Ihnen sagen, obgleich Sie es eher wußten, als wir es erfuhren. Madame und Mademoiselle Richemonte sind entflohen.“
Der Baron machte eine Bewegung des Erstaunens.
„Entflohen? Unmöglich!“
„Nein, wirklich.“
„Aber warum?“
„Das werden Sie wohl wissen.“
„Und wohin?“
„Auch diese Frage werden Sie beantworten können!“
„Bei meiner Ehre! Ich weiß kein einziges Wort davon.“
„Auch nicht, daß Ihr Kutscher mit ihnen fort ist?“
„Florian?“
„Ja.“
„Wie soll ich das wissen? Vor meiner Tür steht ein Posten und vor den Fenstern ein zweiter. Ich bin vollständig isoliert gewesen.“
„Ich werde Ihnen aber doch beweisen, daß Sie lügen.“
Da runzelte der Baron die Stirn.
„Monsieur“, sagte er, „Sie gebrauchten soeben einen Ausdruck, den zurückzunehmen ich Sie bitten muß.“
„Das kann mir nicht einfallen. Sie sind Mitwisser des Ereignisses.“
„Ich versicherte Ihnen bereits bei meiner Ehre, daß ich nichts weiß.“
„Ich glaube Ihnen nicht.“
„Donnerwetter, Sie glauben meinem Ehrenworte nicht? Wissen Sie, was das zu bedeuten hat?“
„Das hat nichts zu bedeuten, als daß ich als Untersuchender dem Inkulpaten keinen Glauben zu schenken brauche, ja, daß es vielmehr die größte Unvorsichtigkeit und der größte Fehler sein würde, ihm zu vertrauen.“
„Sie meinen also, daß Sie mich als Lügner betrachten?“
„Ja, das meine ich“, antwortete der Kapitän kaltblütig.
„Nun,
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