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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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befanden sich noch nie im Boudoir einer Dame?“
    „Zuweilen doch; aber ich benahm mich als Barbar. Ihre gegenwärtige Lektion soll den Fehler mildern.“
    „So meinen Sie, daß ich beginnen soll?“
    „Ich flehe Sie darum an, meine liebenswürdige Erzieherin.“
    Sie lachte glücklich vor sich hin. Sie war der Ansicht, daß sie auf dem besten Wege sei, ihn in sich verliebt zu machen. Darum bemerkte sie mit einem wiederholten Kopfnicken:
    „Ich bemerke bereits, daß mein Zögling nicht ohne gesellschaftliche Talente ist. Nehmen wir also an, daß Sie bei einer Dame eintreten. Sie sind gemeldet, und wenn Sie –“
    „Pardon!“ unterbrach er sie. „Beginnen wir mit etwas späterem! Ich bin ja bereits eingetreten. Ich sitze sogar bereits bei der Dame. Beginnen wir also bei diesem Zeitpunkte.“
    „Wie Sie wünschen, mein wißbegieriger Schüler! Fragen Sie also gütigst, und ich werde antworten.“
    „Das wird die gegenwärtige Lehrstunde höchst interessant machen. Also ich sitze, nehmen wir an, bei einer Dame, welche mich auf italienische Manier empfangen hat –“
    „So wie ich.“
    „Ja. Diese Dame ist aber leider verheiratet –“
    „So wie leider auch ich.“
    „Wie würde ich dieser Dame zum Beispiel meine Ehrerbietung erweisen? Etwa, indem ich ihr die Finger küsse?“
    „Ja, das würde das Richtige sein.“
    „So erlauben Sie mir, Sie zu verehren.“
    Er nahm ihre Hand in die seinige und drückte seine Lippen auf die Fingerspitzen, ohne aber die Hand dann freizugeben.
    „Meine Hochachtung würde ich wohl durch einen Kuß auf die Hand beweisen? Etwa so?“
    „Ja, so!“ lachte sie vergnügt, als er die Hand wirklich küßte.
    „Das war die Hochachtung und Ehrerbietung. Jetzt kommt die Zuneigung. Natürlich auch durch einen Kuß. Aber wohin?“
    „Nicht anders als auf die Stirn“, belehrte sie ihn.
    „Ah! So vielleicht?“
    Er beugte sich über sie und küßte sie auf die Stirn.
    „Ganz recht“, stimmte sie bei. „Sie erfassen die Regeln der guten Gesellschaft mit einer rapiden Schnelligkeit!“
    „Diese Anerkennung macht mich so glücklich, daß ich den Mut finde, sofort zur nächsten Stufe weiterzugehen.“
    „Welche wäre das?“
    „Das, was man ‚Jemandem gut sein‘ nennt!“
    „Ah, das ist interessant!“
    „Wie bezeichnet man dies mit einem Kuß?“
    „Diese Antwort möchte ich Sie selbst erraten lassen.“
    „Gut! Ich rate! Aber erlauben Sie, daß ich die Antwort nicht in Worten, sondern gleich im Beispiel gebe.“
    Er küßte sie auf den Mund, den sie ihm willig und ohne sich zu zieren entgegenhielt.
    „Nun sind wir wohl am Schluß der gesellschaftlichen Gefühlserweisungen angekommen?“ meinte sie dann.
    „Ich glaube nicht. Wir haben noch die letzte und höchste Stufe zu erklimmen. Es handelt sich um die Liebe!“
    „Ah! Ist Ihnen dieselbe bekannt, Durchlaucht?“
    „Bis vor zwei Minuten noch nicht. Jetzt aber muß ich Sie wirklich fragen, in welcher Weise ich im gegenwärtigen Fall der Dame zu beweisen hätte, daß ich sie liebe!“
    Sie lag im Nachtkleid auf dem Ruhebett, über welches eine rotseidene Decke gebreitet war. Bisher hatte er von ihr nur die Hand gesehen, welche sie unter der Decke hervor ihm gereicht hatte, und den Kopf, dessen Haare in ein Netz gebracht waren, durch dessen Maschen einige Strähnen sich durchgestohlen hatten. Jetzt aber war es, als ob die Decke ihr zu schwer werde. Sie zog die Arme unter derselben hervor und man konnte nun die immer noch prächtige Büste und den üppigen Bau der Arme bewundern.
    „Hierauf kann ich Ihnen nur antworten“, sagte sie, „daß Sie wirklich ein Schüler sind.“
    „Ah! Wirklich?“
    „Ja. Wenn Sie die Dame wirklich liebten, würden Sie gar nicht fragen. Die wahre Liebe lehrt ohne Worte, wie sie sich zu betätigen hat, Durchlaucht!“
    „Dann ist meine Liebe allerdings eine wahre, denn ich fühle nicht das mindeste Verlangen, sie durch Worte zu beweisen.“
    Er nahm ihren Kopf in seinen Arm, drückte sie an sich und gab ihr Kuß um Kuß auf Stirn, Mund, Wangen, Hals und Arme. Sie schlang die letzteren dann um ihn und fragte mit jener leisen Stimme, welche die hingebende Liebe in Anwendung zu bringen pflegt:
    „So lieben Sie mich also wirklich, wirklich?“
    „Ja, wirklich“, antwortete er. „Wenn nämlich Ihre Erklärung vorhin die richtige gewesen ist.“
    „Es war die richtige. Aber erlauben Sie, daß ich der Zofe klingle, um Toilette zu machen!“
    Sie setzte sich empor und langte zur

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