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60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken

Titel: 60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Glocke. Doch ehe sie dieselbe noch in Bewegung gesetzt hatte, klopfte es an die Tür; das Mädchen steckte den Kopf herein und sagte:
    „Frau Regierungsrat von Krausberg läßt fragen.“
    „Ah! Wie unangenehm!“
    Aber schnell hatte sich der Fürst erhoben und sagte:
    „Meine Zeit ist abgelaufen, Frau Baronin. Darf ich in der Überzeugung gehen, daß die gestrige Unterhaltung Sie befriedigt hat?“
    „Ich danke, ich kam doch etwas angegriffen nach Hause, weshalb Sie mich heute noch ruhend fanden. Werde ich bald die Ehre haben, Sie wieder begrüßen zu können?“
    „Der Schüler wird baldigst gezwungen sein, sich Rat zu holen.“
    Er küßte ihr die Hand und ging. Das Mädchen erhielt den Befehl, die Rätin einzulassen. Jetzt befand sich die Baronin für einige Augenblicke allein. Sie klatschte triumphierend die Hände zusammen und sagte:
    „Gewonnen! Gewonnen! Er liebt mich! Er soll sich vor meinen Wagen spannen und mich im Triumph durch alle Salons ziehen! Die anderen, diese Hoch- und Edelgeborenen sollen bersten vor Neid!“
    Und er, als er langsam die Treppe hinabschritt, stieß ein kurzes Lachen aus und flüsterte vor sich hin:
    „Eine frühere Zofe geküßt! Fi donc! Verzeihe mir, mein Sonnenstrahl, denn nur mit Widerstreben spiele ich den Hausfreund – den Anbeter. Es ist aber leider der einzige Weg, welcher zur Entlarvung des Doppelmörders führt. Ihr Mann, dieser Baron ist der ‚Hauptmann‘; das ist sicher. Sie soll ihn mir an das Messer liefern!“ –
    Der Baron war, als er seine Wohnung wieder aufgesucht hatte, in ein Kabinett gegangen, welches selbst sein Kammerdiener nicht betreten durfte. Dort gab es eine außerordentliche Auswahl der verschiedensten Kleidungsstücke und Toilettenmittel. Als er wieder heraustrat, hatte er sich als Engländer verkleidet. Eine Brille ließ die Blessur seines Auges nicht erkennen.
    Er stieg eine schmale Seitentreppe hinab, durchschritt einen ziemlich finsteren Korridor und trat dann durch eine Pforte, welche er wieder verschloß, hinaus in das Freie. Kein Mensch hätte in dem hageren Englishman den Baron von Helfenstein erkannt.
    Langsamen Schritts spazierte er durch mehrere Gassen, bis er die Wasserstraße erreichte. In Nummer Elf trat er ein und stieg bis zu der Tür empor, an welcher der Name ‚Wilhelm Fels, Mechanikus‘, zu lesen war. Er horchte eine Weile und vernahm zwei weibliche Stimmen. Dann klopfte er an und trat ein.
    Die Blinde saß, wie immer, auf der Ofenbank. Marie war bei ihr. Sie hatte einige Augenblicke erübrigt, um einmal nach der armen, einsamen Frau zu sehen. Als sie den fremdländischen Herrn eintreten sah, zog sie sich bescheiden in eine Ecke zurück.
    Er grüßte in englischer Aussprache und fragte:
    „Hier wohnt Herr Fels, Mechanikus?“
    „Ja, mein Herr“, antwortete die Mutter.
    „Ist er daheim?“
    „Nein. Er ist auf Arbeit.“
    „Wann kommt er zurück?“
    „Um die Mittagszeit.“
    „Er arbeitet privat an einer Maschine? Nicht?“
    „Ja, mein Herr.“
    „Es ist diejenige, welche ich bei ihm bestellt habe. Wann wird er mit ihr fertig sein?“
    „Er sprach davon, daß es noch vor Weihnachten geschehen werde.“
    „Das ist mir lieb, denn ich muß sie bis dahin haben. Ich werde heute abend oder morgen abend wiederkommen.“
    Er ging. Da sprang Marie herbei und öffnete ihm die Tür. Sie huschte mit ihm hinaus und begleitete ihn bis hinunter in den Hausflur, wo sie ihn durch ihre Anrede veranlaßte, stehenzubleiben.
    „Entschuldigung, Mylord!“ sagte sie. „Darf ich Ihnen wohl eine kleine Bitte vortragen?“
    Sie hatte keine Ahnung, daß sie vor demjenigen stand, der sie schon so oft verfolgt hatte. Seine Brille verdeckte den begierigen Blick seines Auges.
    „Was für eine Bitte?“ fragte er.
    „Wenn Wilhelm zu Hause gewesen wäre, hätte er es Ihnen selbst gesagt.“
    „Wilhelm? Wer ist Wilhelm?“
    „Eben der junge Mechanikus, welcher für Sie arbeitet.“
    „Sind Sie vielleicht seine Schwester?“
    „Nein“, antwortete sie verlegen.
    „Seine Verwandte?“
    „Nein.“
    „Ah! Also seine Braut, seine Geliebte!“
    „Ja, Mylord“, gestand sie errötend. „Und gerade darum werden Sie mir es nicht übelnehmen, daß ich an seiner Stelle spreche.“
    „Reden Sie!“
    „Wilhelm ist arm. Er kann das teure Material, welches er zu Ihrer Maschine braucht, nicht kaufen. Er hat es sich aus den Vorräten seines Prinzipals geborgt, aber ohne dessen Erlaubnis. Wenn dieser es bemerkt, so wird Wilhelm gar als ein Dieb

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