60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Studium gewisser Folianten ist oft mit Unbequemlichkeiten verbunden, fürstliche Durchlaucht. Sie fallen einem zuweilen dahin, wohin eigentlich ihr Inhalt gehört.“
Der Baron hatte gestern falschen Bart getragen, aber der Fürst wußte trotzdem sogleich, woran er war. Diesen Mann hatte er also gestern in das Gesicht geschlagen, und dieser Baron war es auch, welchen er unter den Bäumen bei der Frohnveste gesehen hatte. Eine ganze Flut von Gedanken und Schlüssen stürmte auf ihn ein; er drängte sie aber zurück und antwortete in verbindlicher Weise:
„Stürzt sich Geist auf Geist, so darf allerdings nichts Körperliches dazwischen sein. Doch ist Arnica der dritte Geist, welcher dem Körper freundlicher gesinnt ist.“
„Ich kenne ihn und bitte um die Erlaubnis, mich zu ihm zurückziehen zu dürfen.“
Mit diesen Worten entfernte sich der Baron. Die Baronin hatte bereits ein Taburett bereitstellen lassen, recht nahe an das Ruhebett. Sie hatte sich die Aufgabe gestellt, diesen seltenen Mann zu fesseln, zu erobern und mit dieser Eroberung in den Gesellschaften zu glänzen. Sie winkte, Platz zu nehmen, und er tat es in der gewandten Weise eines Mannes, welcher gewöhnt ist, mit schönen Frauen zu verkehren.
„Ich habe Sie willkommen geheißen, Durchlaucht“, begann sie, „obgleich ich einen Vorwurf auf den Lippen hatte, als Sie eintraten.“
„Sie sind unzufrieden mit mir, meine Gnädige?“
„Sehr!“
„Das macht mich unglücklich!“
„Wer glücklich sein will, darf nicht so plötzlich Orte verlassen, an denen er das Glück findet.“
„Ah! Mein rasches Entfernen hat Sie erzürnt! Pardon! Sie wissen ja, daß wir Inder Barbaren oder doch wenigstens Halbbarbaren sind. Wir bedürfen noch sehr des Unterrichts!“
„Sie werden Lehrer finden.“
„Danke! Wer diese Wissenschaft studieren will, muß sich an die Gewogenheit der Damen wenden. Die Kunst des Salons erlernt man nie von einem Mann.“
„So sollten Sie als Barbar sich schnellstens nach einer Lehrerin umsehen, Durchlaucht!“
„Der Rat ist vortrefflich, Madame; doch die Beschränkung, welche Sie demselben beifügen, ist nicht glückverheißend für mich.“
Sie war nicht geistreich genug, ihn sofort zu verstehen. Darum fragte sie:
„Eine Beschränkung? Wäre das meine Absicht gewesen?“
„Ich meine das Wort ‚schnellstens‘. Wenn ich mir schnellstens eine Lehrerin wählen soll, so finde ich hier ja nur eine einzige Dame, und ich habe kein Recht zu glauben, daß diese Dame mir Ihre Teilnahme und Nachsicht widmen möchte.“
„Nur die Überzeugung vermag zu überzeugen.“
„Ich gehe auf dieses in das Deutsche übersetzte französische Sprichwort ein. Darf ich mir Überzeugung holen?“
Sie lächelte ihm ermutigend entgegen und antwortete:
„Ich gestatte es.“
„Wie, Sie wollten die Taube sein, nach der ich meinen Flug richten darf?“
„Gern! Fliegen Sie in unserem Haus sooft ein und aus, als es in Ihrem Wunsch liegt.“
„So werde ich jetzt als Barbarenkrähe eingeflogen sein und einst als gewandte Schwalbe das Weite suchen.“
„Ich hoffe, daß bis dahin noch recht lange Zeit vergeht.“
„Das werden Sie ganz in Ihrer Gewalt haben. Teilen Sie den Unterrichtskursus, den ich hier zu nehmen gedenke, in soviel wie möglich Lektionen ein.“
„Ich werde dies tun und zugleich den Vorteil verfolgen, mit den Lektionen so spät wie möglich zu beginnen.“
„Ich finde das sehr weise gehandelt, meine schöne Lehrerin. Aber doch bin ich begierig, zu erfahren, welche Methodik Sie verfolgen?“
„Sie wünschen eine Probelektion?“
„Allerdings!“
„Also eine Probelektion aus dem Buch über den Umgang mit Menschen?“
„Ja, und zwar aus der Abteilung mit dem Umgang mit Damen.“
„Diese Probelektion sei Ihnen gewährt.“
„Darf ich das Thema wählen?“
„Ich hoffe, Sie werden wählen den Umgang mit Damen im Salon. Nicht?“
„Nein!“
„Im Theater?“
„Nein.“
„Auf der Promenade?“
„Allerdings auch nicht.“
„Auf Ausflügen, beim Picknick?“
„Noch weniger.“
„Auf Reisen, im Coupé?“
„Ganz und gar nicht.“
„Ich gestehe, daß Sie mich in Verlegenheit bringen, denn meine Thematik ist fast ganz erschöpft!“
„Geben wir uns Mühe, noch einige aufzufinden.“
„Über den Umgang mit Damen bei Familienfesten?“
„Das ist es nicht.“
„In der Häuslichkeit?“
„Wir nähern uns.“
„Ah! Im Boudoir?“
„Ja, das ist es, um was ich bitten möchte.“
„Sie
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