60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Tür des Vorzimmers und blickte hinaus. Es befand sich kein Mensch dort. Überall die tiefste Stille.
„Pah! Es ist nicht gefährlich! Es muß gelingen! Der Schlüssel steckt; ich habe mir die Stelle gemerkt, an welcher sich das Buch befindet; der Fürst ist fort und der Diener nach dem Stall. Ehe dieser zurückkommt, muß es geschehen sein! Bis zur Nacht wird niemand auf den Gedanken kommen, nach den Steinen zu sehen. Und dann werden ja die Einbrecher den Schrank ausleeren. Sie haben auch die Steine! Kein Mensch wird die Baronin von Helfenstein in Verdacht haben können! Vorwärts also!“
Sie warf noch einen zweiten Blick in das Vorzimmer und huschte dann hinaus in den Toilettenraum. Sie schloß den Schrank auf und ergriff das Buch. Die ‚Könige der Steine‘, die in den Beuteln waren, verschwanden im Nu in ihrer Tasche. Sie stellte den scheinbaren Einband wieder an seinem Platz zurück, verschloß den Schrank und saß einige Augenblicke später in ruhiger Haltung wieder auf ihrem Sessel, eine Zeitung in der Hand.
Aber sie war nicht so ruhig, wie es den äußeren Anschein hatte. Ihre Pulse flogen; es flimmerte ihr vor den Augen, so daß die Buchstaben verschwammen, und die Taille wollte ihr zu eng werden.
„Fort! Nur fort!“ hauchte sie.
Und doch bekam sofort die Überlegung die Oberhand.
„Nein“, dachte sie, „ich muß bleiben! Ein zu schnelles Aufbrechen würde sicherlich Verdacht erregen. Wenn ich dafür sorge, daß der Fürst nicht Zeit erhält, in den Schrank zu blicken, bin ich geborgen. Später mag es werden, wie es will!“
Nach einiger Zeit kehrte Befour zurück; er fand sie, scheinbar in die Zeitung vertieft.
„Welch Langeweile werden Sie gehabt haben, gnädige Frau!“ sagte er im Ton des Bedauerns und der Entschuldigung.
„O bitte, ich fand hier einen Modeartikel, dessen Inhalt mich lebhaft interessierte“, antwortete sie.
„So darf ich also auf Ihre Verzeihung rechnen?“
„Von einer Verzeihung kann keine Rede sein. Sie haben ja getan, was Sie tun mußten!“
Es entspann sich nun eine Unterhaltung, welche mit fieberhafter Lebhaftigkeit von Seiten der Baronin geführt wurde. Der Fürst war vom Diener noch nicht benachrichtigt worden; aber er beobachtete die schöne Frau und sagte sich:
„Sie ist erregt; sie gibt sich auffällige Mühe, mich zu fesseln, damit ich ja nicht auf den Gedanken komme, abermals in den Schrank zu gehen. Sie hat es getan, und ich habe gewonnen!“
Da trat Adolf ein und präsentierte auf einem silbernen Teller einen Brief.
„Von wem?“ fragte der Fürst. „So spät am Tag korrespondiert man doch nicht mehr.“
„Der Kutscher übergab mir das Schreiben. Ein Livreediener, den er nicht kannte, bittet um Antwort.“
Der Fürst öffnete das Kuvert. Das inliegende Blatt enthielt die von Adolf geschriebenen Zeilen:
„Sie hat die zwei Beutel mit den Steinen genommen, sie stecken in ihrer Tasche.“
„Die Nachricht ist erfreulich“, nickte der Fürst. „Da muß ich mich allerdings zu einer Antwort bequemen.“
Er nahm eine Karte und schrieb darauf:
„Nimm dann, wenn die Baronin heimkehrt, heimlich die Maske Nummer zwei mit auf deinen Tritt.“
Er steckte die Karte in ein Kuvert, adressierte scheinbar, gab das Kuvert an den Diener und sagte:
„Laß dem Überbringer ein Glas Wein geben! Und meine Empfehlung an seine Exzellenz!“
Damit war die Sache abgemacht. Der Diener entfernte sich, und die Unterhaltung zwischen den beiden begann von neuem, wurde aber von Seiten des Fürsten mit Absicht so flau geführt, daß die Baronin die Gelegenheit ergriff, zu sagen:
„Ich finde, daß Sie heut ein wenig angegriffen sind.“
„Ich hatte während der ganzen Nacht zu schreiben“, antwortete er rücksichtslos.
„So bedürfen Sie der Ruhe.“
Sie erhob sich bei diesen Worten.
„O bitte, meine Gnädige. Ich fühle nicht das mindeste Bedürfnis danach. Ihre Gegenwart ist das einzige, was ich mir wünsche.“
Sie schlug ihn scherzhaft mit der Hand auf den Mund und antwortete:
„Schmeichler! Ich werde Sie nun grad damit bestrafen, daß ich mich verabschiede. Wann werde ich Sie bei mir sehen?“
„Morgen gewiß!“
„Schön! Ich werde Sie mit Sehnsucht erwarten.“
Sie reichte ihm die Hand. Er ergriff dieselbe, sagte aber:
„Schon jetzt uns verabschieden? Wollen Sie grausam sein?“
„Grausam? Wieso?“
„Ich hatte geglaubt, Sie begleiten zu dürfen.“
„Ah, das ist mir angenehm! Also kommen Sie!“
Er selbst legte ihr im Vorzimmer
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