60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
erst begab sie sich durch das Boudoir in das Schlafgemach, wo die Zofe ihrer harrte, um ihr beim Entkleiden behilflich zu sein.
Dabei irrten die Blicke des Mädchens viel und mit besorgtem Ausdruck zu dem Bett hin. Die Herrin bemerkte es nicht. –
Unterdessen wartete der Fürst am Brunnen. Er war begierig, zu erfahren, ob es Anton gelungen sei, sein Vorhaben auszuführen. Er sah, daß der Baron seine Wohnung verließ. Wie gern wäre er ihm gefolgt, aber er mußte auf seinem Posten ausharren.
Endlich, endlich zeigten sich unter dem Tor im Schein des Gases zwei Gestalten, welche sich zu küssen schienen. Die eine, weibliche, trat in den Flur des Palasts zurück, die männliche aber entfernte sich, doch nur eine Strecke, dann kehrte sie auf der anderen Seite zurück und kam nach dem Brunnen geschlichen.
„Anton?“ flüsterte es.
„Ja.“
„Komm hierher!“
Der Diener war eingeweiht in viele Geheimnisse seines Herrn; er wußte auch, daß sich derselbe der mannigfaltigsten Verkleidungen bediente, aber als er jetzt den alten, ehrwürdigen Herrn erblickte, der ihm einen Schritt entgegentrat, so daß der Schein des Lichts auf ihn fiel, trat er einen Schritt zurück und sagte: „Ah, Verzeihung! Wer sind Sie?“
„Anton!“ lachte der Fürst.
„Ah! Gnädiger Herr! Die Maske ist wirklich famos!“
„Freut mich! Wie steht es oben?“
„Eigentümlich! Es geht da etwas vor, was ich nicht begreife.“
„Vielleicht begreife ich es. Hat man dich gesehen?“
„Nein.“
„Aber du bist – überrascht worden?“
„Ich war so glücklich.“
„Prächtig! Du warst also im Zimmer der Baronin?“
„Unter ihrem Bett.“
„Sehr gut, sehr gut!“
„Es hat mich allerdings einen bedeutenden Aufwand von Überredung gekostet, ehe das Zöfchen einsah, daß wir im Schlafzimmer ihrer Herrin am sichersten sein würden.“
„Nun, wie war es da?“
„Wie soll es da gewesen sein! Zunächst hatte ich da eine Menge Küsse zu geben und Umarmungen zu erdulden, was gar nicht recht nach meinem individuellen Geschmack war. Dann aber fuhr ein Wagen vor. Die Zofe trat an das Fenster und sagte erschrocken, daß ihre Herrin komme. Als sie sich vom Fenster zurückwendete, erblickte sie mich bereits nicht mehr.“
„Du stecktest schon unter dem Bett?“
„Natürlich! Sie wollte mich heraus haben, aber ich gehorchte nicht. Zu guten Worten oder gar zur Strenge gab es keine Zeit, denn nach einigen Augenblicken befand sich die Baronin mit ihrem Gemahl bereits im Salon. Ich blieb also stecken.“
„Ah! Die Baronin hatte eine Unterredung mit ihm?“
„Ziemlich lange.“
„Hast du etwas gehört?“
„Kein Wort! Das Boudoir liegt zwischen Salon und Schlafzimmer. Endlich kam sie, und die Zofe mußte ihr beim Auskleiden helfen, wurde aber sehr bald mit dem Auftrag entlassen, daß sie schlafen gehen könne.“
„Auf welche Toilettenstücke erstreckte sich die Hilfe der Zofe?“
„Nur auf die Ober- und Untertaille. Den Pelz hatte die Gnädige bereits abgelegt.“
„Den Rock des Kleides, in welchem sich die Tasche befindet, durfte die Zofe nicht berühren?“
„Nein. Ah, Durchlaucht meinen die zwei Beutel?“
„Hast du sie gesehen?“ fragte der Fürst rasch.
„Sehr deutlich! Es waren die Diamantenbeutel aus dem Brillantenschrank des gnädigen Herrn.“
„Gut, gut! Das ist prächtig. Was hat sie mit ihnen gemacht?“
„Sie nahm einen der Steine heraus und legte ihn auf den Tisch. Dann – der gnädige Herr sind bei der Baronin gewesen?“
„Ja.“
„Nur im Boudoir?“
„Auch im Schlafzimmer.“
„So kennen Durchlaucht wohl die kleine Uhr, welche gegenüber dem Lavoir auf der Wandkonsole steht?“
„Genau.“
„Nun, die Baronin nahm die Uhr herab und dann auch die Konsole. Die letztere ist inwendig hohl. Die Gnädige steckte die Beutel da hinein und brachte dann Konsole und Uhr wieder an Ort und Stelle.“
„Wie schlau! In der Konsole sucht kein Mensch Diamanten!“
„Eine echte Spitzbübin.“
„Aber der Diamant auf dem Tisch?“
„Darüber bin ich mir im unklaren. Neben dem Bett geht eine Tür in den Gang, der zu den Gemächern des Barons führt; durch diese Tür entfernte sie sich auf kurze Zeit. Meine Lage war nichts weniger als sicher. Ich hatte nun erfahren, wo die Steine verborgen sind und konnte mich entfernen, ohne mich der Nachlässigkeit zeihen zu müssen. Jetzt war die Entfernung leicht zu bewerkstelligen, später würde sie vielleicht schwerer. Ich war bereits mit dem halben
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