60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Name, den er nannte, verfehlte seinen Eindruck nicht. Ella machte eine rasche Bewegung, ob vor Schreck oder bloß vor Überraschung, das war schwer zu sagen. Der Baron aber stand mit offenem Mund und stieren Augen da. Sein Feind, sein Erzfeind im eigenen Haus, im eigenen Zimmer! Das raubte ihm geradezu die Sprache.
„Kommen wir also auf den Einbruch zurück“, fuhr der Fürst fort. „Der Fürst von Befour hatte einen Diener, der ihn zu verraten trachtete und seit langem die Absicht hegte, sich dem sogenannten Hauptmann anzuschließen. Es stand zu erwarten, daß ein Einbruch beim Fürsten die Folge sei, und darum hielt ich es für meine Pflicht, ihn zu warnen.“
Er machte eine Pause. Da niemand etwas bemerkte, fuhr er fort:
„Meine Voraussetzung hat sich als begründet erwiesen. Gestern wurde zwischen diesem untreuen Diener und einem Untergebenen des Hauptmanns ein Einbruch beschlossen, welcher in letzter Nacht stattgefunden hat. Ich hörte noch zur rechten Zeit davon und warnte den Fürsten. Er traf seine Maßregeln. Die Einbrecher haben seinen Juwelenschrank ausgeräumt und sind der Ansicht, Millionen gewonnen zu haben. Sie irren sich. Der Fürst hat seine Schätze ausgeräumt und mit ganz wertlosem Plunder vertauscht. Man wird den Dieben nicht hundert Gulden für ihren Raub bieten.“
Die Augen Ellas und des Barons trafen sich; beide aber schwiegen.
„In Anbetracht des geringen Verlustes, den er erlitt, und des Spaßes, den ihm diese wohlgelungene Täuschung bereitete, hat der Fürst von einer polizeilichen Meldung des Einbruchs und von der Verfolgung der Verbrecher abgesehen. Leider aber ist er doch anderweit nicht ohne schweren Verlust geblieben, obgleich er diesen Verlust noch gar nicht kennt. Ich kenne den Dieb. Ich habe Lust, Nachsicht zu hegen, und erkläre daher folgendes: Gibt der Dieb mir die gestohlenen Steine jetzt zurück, so will ich von einer strafrechtlichen Verfolgung dieser gemeinen Tat absehen. Die Steine gelangen an ihren Platz zurück, ohne daß der Fürst erfährt, daß er sich einige Stunden lang nicht in ihrem Besitz befunden hat!“
Ella lag todesbleich auf ihrem Sitz. Es war unmöglich, daß dieser Mann wissen konnte, daß sie die Steine habe; aber er sprach mit einer Sicherheit, welche unfehlbar zu sein schien. Der Baron aber wußte gar nichts zu sagen.
„Sie schweigen beide?“ fragte der Fürst nach einer Pause.
„Ich verstehe Sie nicht!“ stieß der Baron hervor.
„Verstehen auch Sie mich nicht, Frau Baronin?“
Sie sah ein, daß sie antworten müsse. Sie nahm sich daher zusammen, zuckte mitleidig die Achsel und sagte:
„Ihre Reden kommen mir nicht anders vor, als die Phantasien eines Irrenhäuslers. Sie nennen sich den Fürsten des Elends. Diesen Mann muß man sich anders vorstellen als Sie. Sie haben einfach gelogen!“
Der Fürst lächelte leise vor sich hin. Er antwortete:
„Ich will Sie nicht mit gleicher Münze bezahlen. Meinen Sie wirklich, daß ich lüge oder irre spreche? Ich rede jedenfalls korrekter als Sie sprechen und handeln. Eine kluge Diebin wird, wenn sie sich entdeckt sieht, gern und sofort ein Mittel ergreifen, welches man ihr darbietet, um Nachsicht mit ihr hegen zu dürfen.“
„Diebin?“ stieß sie hervor, indem ihre Augen einen gläsernen Glanz bekamen.
„Diebin!“ brüllte der Baron. „Mensch, Schurke, ich zermalme dich! Wie kannst du –“
„Halt! Schweigen Sie!“ rief ihm der Fürst entgegen. „Die Baronin von Helfenstein ist eine Diebin! Sie hat die Steine gestohlen, von denen ich erzählte!“
Der Baron zitterte vor Aufregung am ganzen Leib.
„Ella“, sagte er, „strafe ihn Lügen, und dann werde ich ihn vernichten, sofort, auf der Stelle!“
Sie war kaum noch ihrer Sinne mächtig. Sie mußte all ihre Kraft zusammennehmen, um sagen zu können:
„Es ist eine Lüge! Strafe ihn!“
„Sie leugnen noch?“ fiel der Fürst ein. „Wer ging denn noch gestern abend in männlicher Kleidung und mit falschem Bart und Haar aus, um einen dieser Steine zu verkaufen? Leider bot der Jude Salomon Levi zu wenig, und so kehrten Sie resultatlos nach Hause zurück!“
„Ist das wahr?“ rief der Baron.
„Nein! Nein!“ antwortete sie.
„So zwingen Sie mich, Ihnen zu beweisen, daß es wahr ist. Herr von Helfenstein, ich werde jetzt bei Ihrer Frau nach den gestohlenen Steinen suchen!“
„Wage es, Halunke!“
„Gut! Ich stelle Ihnen die Alternative: Entweder lassen Sie mich nach dem Gestohlenen suchen, und dann kann die
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