60 - Der verlorene Sohn 01 - Der Herr der tausend Masken
Angelegenheit vielleicht noch beigelegt werden, oder ich sende sofort, jetzt gleich, einen meiner Kollegen nach polizeilicher Hilfe. Dann wird öffentlich, in Gegenwart Ihrer Dienerschaft, ausgesucht, und die Angelegenheit kann nicht mehr zurückgenommen werden.“
„Ella, soll ich es darauf ankommen lassen? Bist du schuldig oder unschuldig?“ fragte der Baron.
Da raffte sie sich zusammen, stand auf, trat auf den Fürsten zu und sagte in hoheitsvoller Haltung:
„Mensch, Sie sind wirklich ein Verrückter! Verlassen Sie augenblicklich dieses Haus, sonst lasse ich Sie arretieren!“
Da tat auch der Fürst einen Schritt auf sie zu. Sein Auge flammend auf das ihrige gerichtet, sagte er:
„Es ist mir wirklich unbegreiflich, wie ich zu der riesigen Nachsicht Ihnen gegenüber komme! Sie leugnen, leugnen immer noch? Als gestern der Fürst von Befour zu seinem Hausmeister gerufen wurde, ist die Tat geschehen; der Diener war in den Stall gesendet worden.“
„Lüge! Lüge!“ erklärte sie.
„Weib!“ donnerte ihr da der Fürst entgegen. „Nun habe ich es satt! Genug der Frechheit bis jetzt! Soll ich dir sagen, wohin du den Raub gesteckt hast?“
Sie schwieg. Ihre Kräfte wollten nicht länger ausreichen. Sie war einer Ohnmacht nahe. Ihr Mann trat herbei. Es war fürchterlich. Er, der Baron von Helfenstein, mußte sich eine solche Szene gefallen lassen! Er sagte:
„Ja, sagen Sie es! Ich verlange es! Aber wenn es nicht stimmt, wenn es nicht wahr ist, so zertrete ich Sie unter meinen Füßen, wie man den elendesten der Würmer zertritt!“
„Pah! Spielen Sie sich nicht größer auf, als Sie sind! Ich brauche nur die Hand auszustrecken, um Sie zu zermalmen! Anton, führe den Baron hinüber! Zeige ihm das Versteck! Adolf mag mitgehen. Wir haben Zeugen nötig!“
Der Baron schritt voran, und die beiden Polizisten folgten ihm. Der Fürst blieb mit Ella allein. Sie blickte ihn nicht an. Woher wußte er alles? Aber noch hatte sie die Hoffnung nicht verloren. Es war ja fast unmöglich, ihr Versteck zu wissen. Vielleicht fanden sie es nicht. Sie hatte auch den Stein, welchen sie mit zu dem Juden genommen hatte, nach ihrer Rückkehr wieder zu den anderen getan.
Es vergingen einige lange, lange Minuten. Da endlich nahten sich Schritte, eilig, wie im Sturmlauf. Die Tür wurde aufgerissen, und Helfenstein stürzte herein.
„Weib!“ brüllte er. „Du hast gestohlen!“
Er hatte die Fäuste geballt; sein Atem ging kurz; er befand sich im Zustand der äußersten Wut. Da stand sie langsam auf, stellte sich ihm Auge in Auge und sagte:
„Und du? Was hast du getan?“
Das Auge des Fürsten war mit allergrößter Spannung auf die beiden gerichtet. Würden sie einander verraten? Nein, denn es trat eine Störung ein. Die Tür wurde geöffnet, und die beiden Polizisten kamen zurück, jeder einen der gestohlenen Beutel tragend. Das störte die Krisis: Mann und Frau traten langsam voneinander fort. An den ersteren wendete sich nun der Fürst:
„Herr von Helfenstein, nehmen Sie Ihre Beleidigungen zurück?“
„Ja, ich muß!“ knirschte dieser. „Nun bleibt mir nichts anderes übrig, als mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen!“
„Warum?“
„Das fragen Sie noch? Die Baronin von Helfenstein eine Diebin! Das darf ich nicht überleben! Man würde mit Fingern auf mich zeigen und mich mit Füßen treten!“
„Noch weiß niemand davon!“
„Aber der Fürst von Befour wird Anzeige erstatten.“
„Ich sagte Ihnen ja, daß er noch gar nichts von dem Diebstahl ahnt. Er weiß noch gar nicht, daß die Edelsteine abhanden gekommen sind.“
„So werden Sie Strafantrag stellen!“
„Allerdings. Ich bin Ihnen eine rätselhafte Persönlichkeit. Ich will Ihnen sagen, daß ich Polizist bin. Ich habe ein Auge für vieles, vieles, was andere nicht bemerken. Darum habe ich gestern den ‚Hauptmann‘ betrogen; darum kannte ich die Diebin der Edelsteine, und darum entdeckte ich den Aufbewahrungsort der letzteren. Ich bin unnachsichtig gegen jede Übertretung der Gesetze; aber ich habe mir von der Familie Helfenstein erzählen lassen und schenke den Angehörigen meine wärmste Teilnahme. Darum will ich Ihnen hier ein Fluchtpförtchen offenlassen.“
„Sprechen Sie; aber verlangen Sie nichts Unmögliches!“
„Was ich verlange, ist sehr naturgerecht. Wer stiehlt ist entweder ein Dieb oder – geisteskrank. Einen Dieb oder eine Diebin lasse ich unnachsichtig bestrafen; eine Geisteskranke aber kann geheilt werden. Ich gebe
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